Ausgebrannt und erschöpft

Laut Psychologin: Deshalb leiden so viele Mütter an Burnout

Mutter mit Kind ist überfordert | © Getty Images/	svetikd
Viele Frauen fühlen sich dem Idealbild der "perfekten Mutter" verpflichtet und geraten dadurch schnell in eine psychische Belastungsfalle.
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Zwischen Karriere, Haushalt und Kinderbetreuung sehen sich immer mehr Mütter hoher psychischer Belastung ausgesetzt. Warum das sogar zum Burnout führen kann und was sich gesellschaftlich ändern muss, erklärt Psychologin Dr. Hanne Horvath im Interview.

Die Burnout-Rate bei Müttern ist in den letzten Jahren gestiegen. Woran liegt das?

Dr. Hanne Horvath: Da gibt es natürlich verschiedene Faktoren. Entscheidend finde ich das Mehr an Care-Arbeit, das die meisten Frauen mit Kind im Vergleich zu den Vätern in Deutschland übernehmen. Durchschnittlich sind das sechs bis sieben Stunden, während der Pandemie kamen noch drei Stunden obendrauf. Da kann man sich leicht ausrechnen, dass sehr vieles zu kurz gekommen ist. Vor allem Momente der Ruhe und Entspannung, mal Zeit für sich zu haben, das war lange nicht drin und hat viele Mütter extrem belastet.

Aber auch vor der Pandemie fühlten sich viele Frauen schon angespannt, was meistens an der Doppelbelastung durch Kind und Karriere liegt. Laut dem Statistischen Bundesamt arbeiten 65,5 Prozent der Mütter in Teilzeit, während Väter diese Möglichkeit nur zu 7,1 Prozent in Anspruch nehmen. Diese Werte sind seit 2010 fast unverändert. Wir haben also in Familien immer noch eine eher klassisch geprägte Rollenverteilung. Väter fokussieren sich voll auf die Karriere und lassen die Familie eher nebenherlaufen, Mütter teilen sich zwischen Job und Kinderbetreuung stärker auf.

Genau dieses Modell scheint aber schon lange nicht mehr zum Wohlbefinden der Frauen beizutragen. Der Druck wird größer, in allen Bereichen des Lebens zu brillieren. Im Job messen sich viele Mütter mit Kollegen und Kolleginnen, die Vollzeit arbeiten, auf keinen Fall möchten sie beruflich weniger engagiert wirken. Privat ist es aber genauso kompliziert. Hier setzen Frauen, die sich Vollzeit um ihre Kinder kümmern, ganz andere Maßstäbe. Angetrieben durch die Idee, dass aber doch beides ganz entspannt drin sein muss, gehen viele Mütter bis an ihre Grenze und darüber hinaus. Irgendwann kann das zur totalen Erschöpfung führen, Diagnose Burnout.

Was sind erste Anzeichen für ein Burn-out bei Müttern?

Typische körperliche Anzeichen sind: chronische Müdigkeit, Schlaf- und Konzentrationsprobleme, starke Verspannungen, Kopfschmerzen und Magenbeschwerden. Psychisch ist vor allem eine hohe Gereiztheit und eine zunehmend negative Haltung bezüglich der eigenen Person und Aufgaben typisch. Die betroffenen Personen nehmen auch vermeintliche Kleinigkeiten als sehr anstrengend und nur schwer zu bewältigen wahr. Viele ziehen sich außerdem sozial zurück, da Kontakt zu anderen Menschen als kräftezehrend empfunden wird. Die vorherrschende Gefühlslage kann variieren. Manche fühlen sich sehr erschöpft und traurig, manche werden sehr bitter und zynisch, andere fühlen nur noch ganz wenig, sie werden emotional taub. Es ist jedoch ganz deutlich eine negative Veränderung des Wohlbefindens spürbar. Diese Anzeichen gelten übrigens für alle Menschen, einen speziellen Mutter-Burnout gibt es in diesem Sinne nicht.

Was ist dann zu tun? Wo können sich Frauen Hilfe suchen?

Ich empfehle dringend, das ernst zu nehmen und zunächst mit dem Hausarzt oder der Hausärztin zu sprechen. Das ist die erste medizinische Anlaufstelle, die weiterhelfen kann. Zusätzlich gibt es noch Selbsthilfegruppen oder Beratungsstellen, die gerne unterstützen. Mir ist klar, dass dieser erste Schritt sehr viel Überwindung kostet, und ich bin da voller Mitgefühl für jede betroffene Person.

Vor allem Müttern, die unter Burnout-Symptomen leiden, fällt es oft schwer, sich ihre Erschöpfung einzugestehen. Sie plagt ein schlechtes Gewissen und häufig das Gefühl, eh nichts an ihrer Situation ändern zu können. Obwohl nachvollziehbar, verschlimmert diese Einstellung die Symptome, bis irgendwann gar nichts mehr geht. Aber genau das gilt es zu vermeiden. Hilfreich kann da eine Therapie sein und die ist inzwischen auch online, kostenfrei auf Rezept und ohne Wartezeit verfügbar. Von HelloBetter gibt es beispielsweise den wissenschaftlich geprüften Online-Therapiekurs "Stress und Burnout". Innerhalb von zwölf Wochen kann man hier lernen, seine persönlichen Stressfaktoren wahrzunehmen und zu senken sowie besser mit Problemen umzugehen, die unlösbar scheinen. Das finde ich auch einen ganz wichtigen Punkt, denn gerade Mütter haben ja meistens nicht die Chance ihr ganzes Leben umzuschmeißen. Sie müssen wieder behutsam lernen, in sich selbst mehr Weite zu finden. Das ist keine einfache Aufgabe und oft frustrierend. Aber es lohnt sich sehr dranzubleiben und eine Stunde in der Woche in sich selbst zu investieren. Nach sechs Monaten hat sich laut Studien das Stresslevel bei vielen Teilnehmenden fast halbiert.

Burnout Symptome und erste Anzeichen

Müde Frau am Arbeitsplatz leidet an Burnout. | © gettyimages.de | holaillustrations

Wie kann die Gesellschaft auf lange Sicht dazu beitragen, dass Mütter weniger Care-Arbeit leisten müssen?

Genau hier liegt einer der Knackpunkte. Mit dem ersten Kind verändern sich oft vorher gleichberechtigte Beziehungen und das liegt auch an der Nutzung des in Deutschland seit 2007 eingeführten Elterngeldes. Um diese finanzielle Unterstützung für Familien in vollem Umfang zu beziehen, müssen beide Elternteile mindestens zwei Monate in Elternzeit gehen. Wie genau das aufgeteilt wird, bleibt jedem selbst überlassen. Zwar nutzen vierzig Prozent der Väter inzwischen das Elterngeld, aber drei von vier beschränken sich dabei auf die Mindestdauer von zwei Monaten. Die längere Auszeit, maximal ein volles Jahr, wird von der Mutter genutzt und damit sind die Rollen schon ziemlich festgeschrieben. Es kostet sehr viel Anstrengung und eine fortwährende gute Kommunikation, um dieses Ungleichgewicht nach dem Ende der Elternzeit wieder zu nivellieren.

Anders ist das beispielsweise in Island. Dort ist das Elterngeld weniger flexibel für Familien nutzbar, aber dafür geschlechtergerecht geregelt. Beide Elternteile haben jeweils Anspruch auf sechs Monate Bezugsdauer. Entscheidet sich ein Elternteil dagegen, halbiert sich auch die finanzielle Unterstützung. In der Folge nehmen fast alle Väter eine halbjährige Auszeit vom Beruf und kümmern sich um ihr Kind. Beide Elternteile machen in dieser Zeit eine ähnliche Erfahrung, entwickeln eine Nähe zum Kind und bekommen ein Gefühl für das hohe Stresslevel bei der Betreuung. Entsprechend liegen die Startvoraussetzungen und das Verständnis für die neue Rolle als Mutter und Vater viel näher beieinander. Das verpassen deutsche Familien oft. Im Gegenteil: In der Zeit, in der die Väter in Elternzeit sind, bleiben viele Frauen ebenfalls zu Hause. Das ist verständlich, aber leider für die folgenden Jahre nicht hilfreich. Ob es dafür eine Reform des Elterngeldes braucht, kann ich nicht sagen. Aber es wäre begrüßenswert, wenn sich Paare intensiver mit diesen Themen auseinandersetzen. Dazu braucht es mutige Männer, die für das Recht auf Care-Arbeit kämpfen und ihre Karriere entsprechend niedriger priorisieren und mutige Frauen, die das zulassen. Abgesehen davon ist es Zeit, dass die Forderungen nach Kinderbetreuung und familienfreundlichen Arbeitsplätzen endlich erfüllt werden.

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