Kolumne: 100 Zeilen Liebe

Wollmäuse

En garde! York Pijahn im Kampf gegen die fiesen Wollmäuse. | © Yvonne Kuschel
En garde! York Pijahn im Kampf gegen die fiesen Wollmäuse.
© Yvonne Kuschel

York Pijahn hat einen Putzfimmel, im Gegensatz zu seiner Freundin. Man ahnt schon, schwierig …

Man hört ein „Ping!“ aus der Küche. Unsere Mikrowelle. „Nicht schon wieder!“ Meine Freundin. Wenn ich geputzt habe, desinfiziere ich immer alle Spülschwämme in der Mikrowelle. Ich habe von diesem Trick im Radio gehört und finde den Gedanken an hygienische und zu 100 Prozent desinfizierte Putzschwämme fantastisch. Auch wenn ich weiß, dass man dafür eher die Woody Allen-Medaille als man points bekommt. Meine Freundin steht jetzt im Türrahmen der Küche. „Na, alles sauber?“ Sie kann diese Frage exakt so klingen lassen, dass man sich zu gleichen Teilen gelobt und beleidigt fühlt.

Ich habe einen Putzfimmel. Vor allem seit wir Kinder haben. Ich will das Chaos wegputzen. Ich will die Rückkehr des rechten Winkels und der Yuppiebuden-Bauhaus-Kargheit in eine Welt aus vom Esstisch gefallenen Fischstäbchenbissen.

In meinen Träumen leben wir in einer Wohnung, die halb nach japanischem Zen-Retreat, halb nach Züricher Zahnarztpraxis aussieht und durch deren Räume eine Chlor-Brise weht.

Meine Freundin hingegen? Putzt entlang eines gefühlten Hygiene-Standards, der dem einer 90er-Jahre-gute-Laune-WG mit Pfandflaschensammlung entspricht. Wollmäuse, die befreundeten Wolligeln hinterherkullern. Immer in Richtung der umgekippten Kindergummistiefel.

Weil es dauernd Streit gibt, hat meine Freundin nach einem Putz-Standard gesucht, auf den wir uns einigen können. Kurios: So was gibt es. Das Pareto-Prinzip – benannt nach dem Italiener Vilfredo Pareto. Es besagt, dass man bei der Arbeit mit nur 20 Prozent seiner Energie 80 Prozent des Gesamtergebnisses schafft. Für den Rest benötige man 80 Prozent seiner Kraft. Klingt schräg. Aber lieber eine zu 80 Prozent saubere Wohnung mit Miniaufwand als Chaos wie bisher. Wir machen jetzt Pareto. Eine Woche lang.

Phase 1: Wir putzen die Wohnung, aber eben nur in 20 Prozent der Zeit. Wir haben in 36 Minuten gesaugt und aus allem, was rumliegt, sehr schöne Stapel gemacht. Ich komme mir vor wie ein Schwarzfahrer. Schuldig, aber mit der Euphorie eines Pullunder-Boys, der die Regeln bricht. Ich versprühe ein sehr teures italienisches Raumspray, um mein Unwohlsein wegzuparfümieren. Meine Freundin behauptet, man könne im Geiste von Pareto doch auch einfach das Licht auf 80 Prozent dimmen, dann sehe es auch sauber aus.

Phase 2: Laut Pareto ist 100-prozentige Präzision Energie- und Zeitverschwendung. Um mich daran zu erinnern, hat meine Freundin ein Bild von Pareto an unseren Kühlschrank geklebt, zu 80 Prozent waagerecht, man könnte es auch schief nennen. Pareto sieht auf dem Bild auf sympathische Weise aus wie Sigmund Freud nach acht Wochen Geiselhaft. Ich höre auf, mir jede Woche die Schuhe zu putzen. Und es gibt Freitag, Samstag, Sonntag Pasta mit Pesto. Keinen stört’s, mich eigentlich auch nicht. Weil das Essen viel früher fertig ist als sonst, haben wir mehr Zeit. Wir sitzen am Tisch so glücklich wie die Waltons.

Phase 3: Ich trage meinen neuen Pareto-Spirit in die Arbeit. Undercover, weil mir klar ist, dass man von seinen Vorgesetzten nicht mit Konfetti empfangen wird, wenn man herumposaunt, dass man für ein paar Tage mit 80 Prozent zufrieden ist. Ich arbeite. Aber eben nicht wie irre, sondern so, dass es reicht. Und dann passiert: nix. Einfach gar nix. Keiner meckert, denn keiner merkt’s, außer mir selbst, denn ich bin auf heitere Art mal nicht groggy.

Als ich am letzten Tag der Pareto-Woche 20 Minuten früher nach Hause komme, sieht die Wohnung mittelordentlich aus. Das Essen ist mittelfertig, die Kinder haben ihr Zimmer mittelgut aufgeräumt. Ich weiß nicht, ob ich das langfristig hinbekomme. Aber für heute ist das vollkommen in Ordnung.

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