Hormonelle Verhütung

Pille absetzen: Rebellion gegen die Pille

Anti Baby Pille | © iStock | areeya_ann
Weg damit? 70 Prozent der 20- bis 30-Jährigen verhüten mit der Pille. Von den über 30-Jährigen immerhin noch 40 Prozent.
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Immer mehr Frauen entscheiden sich dazu, die Pille abzusetzen und pillenkritische Statements häufen sich, Deutschlands gängigstes Verhütungsmittel ist in Verruf geraten. Zu Recht?

Die Pille ist in Verruf geraten

Entweder werden sie bejubelt oder gehasst, Ikonen teilen oft dasselbe Schicksal. Wa­rum sollte es dieser kleinen Tablette also anders ergehen, dem Medikament, bei dem man sich den Zu­satz „Antibaby­“ sparen kann? "Die Pil­le" reicht, und jeder weiß, was gemeint ist. 1960 kam das Hormonpräparat in den USA und ein Jahr später in Deutsch­land auf den Markt, es gilt als Sinnbild der sexuellen Befreiung von Frauen. End­lich konnten sie selbst über ihre Frucht­barkeit bestimmen. Tschüss, Kalender­-Rechnerei, tschüss, Coitus interruptus. Kind oder Karriere – das entschied man jetzt selbst. Und wenn der richtige Zeit­punkt für ein Baby gekommen war, brach man den nächsten Blister eben nicht an.

Es war so simpel, dass man hätte miss­trauisch werden können, findet Sabine Kray. War die Emanzipation wirklich so einfach zu haben? Die Berlinerin hat vor einer Weile einen pillenkritischen Artikel im Netz veröffentlicht. Mehr als eine halbe Million Menschen haben ihn an einem einzigen Tag gelesen, er wurde tausendfach geteilt. Daraus ist das Buch „Freiheit von der Pille“ (Tempo Verlag) entstanden – Sabine Krays „persönliche Unabhängigkeitserklärung“. Die 33­-Jäh­rige kann der Pille nichts abgewinnen: „Ihre angeblichen Vorteile empfinde ich nicht als positiv.“ Dabei hielt sie das Me­dikament mal für eine gute Sache, nahm es 17 Jahre lang. Erst danach merkte sie, welchen Einfluss das Hormonpräparat auf ihren Körper hatte. 

Pille absetzen liegt im Trend

Die Autorin ist medizinischer Laie, wie viele, die jetzt Kritik üben: Bloggerinnen oder Soziologin­nen wie Katrin Wegner („Die Pille und ich“, C.H. Beck). Sabine Krays Position ist in mancher Hinsicht radikal – dazu später mehr –, aber sie fällt auf frucht­baren Boden: Irgendwann setzt bei den Frauen ein Unbehagen darüber ein, dass man seinen Zyklus über Jahre oder gar Jahrzehnte durch künstliche Hormone unterdrückt. Informiert man sich dann genauer über mögliche Nebenwirkungen – Thrombosegefahr, Brustkrebs, Libido­verlust, Migräne, Depressionen –, wird aus Pillenmüdigkeit schnell Pillenskep­sis.

Mit rund sieben Millionen Nutzerin­nen ist sie in Deutschland zwar immer noch das gängigste Verhütungsmittel. Aber während sie etwa 70 Prozent der 20­- bis 30­-Jährigen nehmen, sinkt der Anteil ab Anfang 30 auf circa 40 Prozent, auch weil dann das Thromboserisiko steigt. Seit es eine entsprechende Anwei­sung des Bundesinstituts für Arzneimit­tel und Medizinprodukte (BfArM) gab, müssen Frauenärzte und ­-ärztinnen ihre Patientinnen darüber besser aufklären.

Anti Baby Pille | © iStock | nensuria
Für die neuen Feministinnen ist die Pille kein Zeichen der Emanzipation - sondern sie habe sie sogar ausgebremst.
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Anti Baby Pille und Todesfälle

Kai Bühling ist Professor für Gynäko­logische Endokrinologie und leitet am Universitätsklinikum Hamburg­-Ep­pendorf die Hormonsprechstunde. Er berät dort auch zum Thema Verhütung und hat beobachtet: „Durch Berichte über Todesfälle im Zusammenhang mit der Pille hat die Verunsicherung unter Frauen zugenommen.“ 18 solcher Ver­dachtsfälle mit Todesfolge verzeichnet das BfArM seit dem Jahr 2000 allein für Kombinationspillen mit dem Wirkstoff Drospirenon, weitere 500 Fälle für Thromboembolien, also Blutgerinnsel, die zum Beispiel Herz­ oder Lungenge­fäße verstopfen. In der Kritik stehen vor allem Pillen der dritten und vierten Ge­neration, sogenannte Mikropillen, die Östrogene und Gestagene kombinieren. 

Seit dem Jahr 2015 wissen das nicht nur Ärzte und Medizinexperten, sondern auch viele Frauen. Da wurden erste Klagen gegen einen Phar­makonzern bekannt, den Hersteller gleich mehrerer verdächtiger Präparate, darunter „Yasmin“, „Yaz“ und „Yasmi­nelle“. Frauen wie Felicitas Rohrer und Kathrin Weigele, die beide eine Mikro­pille einnahmen und lebensbedrohliche Lungenembolien erlitten – sie protestie­ren seit einigen Jahren bei der Hauptver­sammlung des Konzerns. 2015 veröffent­lichte die Techniker Krankenkasse den „Pillenreport“, mit dem Ergebnis: Nie­dergelassene Frauenärzte würden die Medikamente zu leichtfertig verschrei­ben, vor allem jüngeren Frauen, die sich davon ein besseres Hautbild erhoffen – als gäbe es keine andere Möglichkeit, Pickel und Akne zu behandeln.

Risiken der Pille werden häufig nicht thematisiert

„Manche Kollegen klären nicht opti­mal auf, weil die Zeit knapp ist in der Praxis“, räumt Kai Bühling ein, weist aber auch auf die komplizierte Fakten­lage beim Thema Thrombose hin. So wird eine Studie der Uni Kopenhagen oft als Beleg für den Zusammenhang Pille und Thrombose herangezogen. Doch die sei nicht eindeutig, weil die Daten nur rückwirkend erhoben werden. Kai Bühling will das Risiko nicht klein­ reden und sagt trotzdem: „Wenn eine Frau gesund ist und in dieser Hinsicht keine Vorgeschichte hat, spricht erst mal nichts gegen die Pille.“ Genauso sieht es das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, Deutschlands oberste Behörde für die Zulassung und Überwachung von Me­dikamenten. 2013 stellte man dort nach der letzten großen Risikobewertung fest, „dass bei allen kombinierten hormona­len Kontrazeptiva der Nutzen die Risi­ken überwiegt“.

Pille und Thrombose-Gefahr

In Zahlen bedeutet das: Zwei von 10 000 Frauen, die nicht hor­monell verhüten und nicht schwanger sind, entwickeln eine Thrombose. Bei Pillennutzerinnen sind es je nach Wirkstoffkombination fünf bis zwölf. Für jede dieser Frauen ist das eine Tragödie, insgesamt sei die Thrombosegefahr den­noch sehr gering, betonen die Experten. Gleichzeitig fordern sie weitere Studien, vor allem für neuere Kombinationsprä­parate. Und für bestimmte Risikogrup­pen bleibe die weitverbreitete Mikropil­le grundsätzlich tabu. 

Wer selbst schon eine Thrombose hat­te oder einen Fall im engen Familien­kreis, wer unter Migräneattacken leidet, raucht oder Übergewicht hat, sollte ein anderes Verhütungsmittel wählen. Darauf weisen inzwischen auch die Herstel­ler in den Beipackzetteln hin, genau wie auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko. Kai Bühling zufolge steigt es durch die Pille um 24 Prozent. Wie bei der Thrombose könnten auch hier Faktoren wie eine genetische Veranlagung die Wahr­scheinlichkeit erhöht haben, was sich im Nachhinein nicht mehr feststellen lasse. Anders gesagt: Die Pille kann Krank­heiten auslösen und Nebenwirkungen haben – gedämpfte Stimmung, Migrä­neattacken und Libidoprobleme. Sie treten aber nicht zwangsläufig auf. 

Man muss das so deutlich sagen, weil Kritik an der Pille schnell fundamental wird. Statt depres­siver Stimmung ist dann von Depressio­nen die Rede, statt Libidoproblemen von Libidoverlust. Bei Sabine Kray liest sich das so: „das Sexleben ruiniert“, „biopoli­tische Kontrolle“, „Manipulation von Frauen“. Ihre radikale Haltung erklärt sie wie folgt: „Es gibt gute Gründe, die Pille zu nehmen, und weniger sinnvolle. Mit guten Gründen werden wir seit Jahr­zehnten von den Medien und der Phar­maindustrie versorgt.“ Über die weniger guten müsse man nun auch endlich spre­chen. Und im Fall der Fälle eben die Pille absetzen.

Die Pille als Emanzipations-Bremse?

Sabine Kray und anderen Kritike­rinnen geht es um die feministische Per­spektive: „Frauen wurde lange vermittelt, dass ihre Körper unauffällig zu sein ha­ben. Da ist die Pille natürlich verlockend: keine Menstruationsschmerzen, keine starke Monatsblutung, und man muss sie nur runterschlucken.“ Genau das schätzt man im persönlichen Alltag. Für die Sache der Frauen aber, findet Sabine Kray, habe sich das als Nachteil erwiesen: „In den 1960ern öffnete sich die Gesell­schaft für die weibliche Sexualität und weibliche Belange. Dann kam die Pille. Und weil Verhütung so unauffällig funk­tionierte, gab es scheinbar keine Notwen­digkeit mehr für einen Dialog.“ Man könne also auch sagen, dass eine sehr gute Entwicklung durch die Pille ein frühes Ende gefunden habe. Was viele nicht wissen: Zwei US­-amerikani­sche Frauenrechtlerinnen spielten dabei eine große Rolle. Margaret Sanger und Katharine Dexter-McCormick unter­stützten ab 1951 maßgeblich die For­schung von Männern wie Carl Djerassi und Gregory Pincus und halfen dabei, die Pille rasch zur Marktreife zu bringen. 

Dass das Thema heute so kontro­vers diskutiert wird, hängt auch mit dem Zeitgeist zusammen, dem kritischen Konsumverhalten. Wer hinterfragt, was er isst oder trägt, fragt sich irgendwann auch, welchen Einfluss ein Hormonpräparat auf den Körper hat. Sabine Kray verhütet inzwischen nur noch natürlich, nutzt Thermometer und Kalender. Wenn andere Frauen lieber die Pille verwenden, habe sie damit kein Pro­blem, „solange diese Frauen über mögli­che Risiken wirklich informiert werden“. Doch viele würden sichere Verhütung immer noch mit der Pille gleichsetzen, obwohl es gute Alternativen gebe. Eine Einschätzung, die der Mediziner Kai Bühling teilt. Er kann verstehen, dass man die Pille absetzt: „Ich würde das aber immer mit dem Frauenarzt abspre­chen und nachfragen, welche Möglich­keiten sich sonst noch anbieten, um eine sichere Verhütung zu gewährleisten.“ 

Pille absetzen - mögliche Alternativen

Verhütungsmittel mit Hormonen:

Hormonspirale („Hormon­schirmchen“): Bleibt bis zu fünf Jahre in der Gebärmutter. Gerin­geres Thromboserisiko, da weni­ger Hormone im Blut. Ähnliche Nebenwirkungen wie Mikropil­len: Kopfschmerzen, Libidopro­bleme, unreine Haut, Stimmungs­schwankungen. Pearl­-Index: 0,16.

Hormonstäbchen: Für drei Jahre in die Armbeuge implan­tiert. Thromboserisiko: geringer als bei Mikropillen, höher als bei Hormonspiralen. Mögliche Ne­benwirkungen: identisch. Pearl­-Index: 0–0,08.

Vaginalring: Bleibt 21 Tage in der Scheide, nach der Entnahme kommt es zur Regelblutung. Durch Kombi aus Östrogen und Gestagen ähnliche Nebenwir­kungen wie bei Mikropillen. Pearl­-Index: 0,4–0,65.

Verhütungsmittel ohne Hormone:

Kupferspirale: Bleibt bis zu zehn Jahre in der Gebärmutter. Kann Regelblutung und ­Schmer­zen verstärken. Entzündungen möglich. Pearl­-Index: 0,3–0,8.

Symptothermale Methode: Kombiniert Temperaturmessung, Kalendermethode und Beobach­tung von Körpermerkmalen. Ei­nige Zyklus­-Apps arbeiten damit. Pearl­Index bei konsequenter Anwendung und Sex­-Verzicht an fruchtbaren Tagen: 0,4–2,3.

(Pearl-Index Pille: 0,1–0,9) 

Text: Marija Latkovic
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