"Das Patriarchat schlägt zurück"

Im Interview: Karoline Herfurth über feministische Errungenschaften und patriarchale Strukturen

Karoline Herfurth im Porträt | © Getty Images
„Das Patriarchat schlägt zurück“
© Getty Images

Zum Kinostart von Wunderschöner: Im Interview sprachen wir mit der Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth über die Bedeutung von Feminismus, die Herausforderungen moderner Geschlechterbilder und die besorgniserregende Tendenz, dass konservative, patriarchale Strukturen wieder an Einfluss gewinnen möchten.

Mit ihrem Film „Wunderschön“ traf Karoline Herfurth 2022 den Nerv der Zeit: Der Episodenfilm, der sich sensibel und zugleich humorvoll mit Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Erwartungen auseinandersetzte, zählte zu den erfolgreichsten deutschen Filmen des Jahres. Nun knüpft Herfurth mit „Wunderschöner“ an diesen Erfolg an und setzt die Geschichten rund um Selbstakzeptanz, Geschlechterrollen und gesellschaftliche Normen fort.

Das Interview ist erstmals auf Edition F erschienen.

 

Einer der letzten Sätze im Film ist: Ein Angriff gegen eine ist ein Angriff gegen uns alle. Dabei kommen Gefühle auf wie Wut, Trauer und Entschlossenheit. Welches Gefühl herrscht bei dir im Hinblick auf das aktuelle Weltgeschehen und die Bundestagswahl vor?

„Ich glaube, dass wir uns in einem Backlash befinden. Oder, um es direkter zu sagen: Das Patriarchat schlägt zurück. Das ist für mich deutlich spürbar. Wir haben uns davor in einer Zeit des Aufatmens befunden, in der sich ein schärferes Bewusstsein für Ungleichheiten entwickelt hat. Diesen Zustand empfand ich als angenehm und befreiend. Aktuell kippt die Stimmung wieder in eine entgegengesetzte Richtung.

Für mich kommen Entwicklungen in Wellenbewegungen und wir scheinen uns in der Rückwärtsbewegung einer Welle zu befinden. Aber die nächste steht schon an. Es ist gerade für viele Menschen nicht leicht, zuversichtlich zu bleiben. Umso mehr habe ich das Gefühl, dass dieser Film genau zur richtigen Zeit kommt und nicht aktueller sein könnte.

‚Wunderschöner‘ bietet in meinen Augen Raum, sich gesehen und gehört zu fühlen. Und das in einer Zeit, in der es schwerfällt, Hoffnung zu behalten. Vor allem aber vermittelt er das Gefühl, dass wir mit unseren Empfindungen nicht allein sind. Als die Me-too-Bewegung aufkam, hat es mir sehr gutgetan zu sehen, dass viele Frauen über ihre Erfahrungen berichteten. Und plötzlich gab es auch auf der Leinwand immer mehr Geschichten, von denen ich mich angesprochen fühlte. Das war ein völlig neues Gefühl, das gab es zehn Jahre zuvor nicht.“

 

Es wurde vor allem über uns anstatt mit uns gesprochen?

„Ja, es wurden eher Stereotypen vom vermeintlichen Frausein geprägt. Und ich finde es tragischerweise lustig, dass sich das heute wiederholt. Noch immer werden Frauenbilder kreiert, die nicht mit dem übereinstimmen, was ich als Realität vom Leben als Frau wahrnehme. Als wir damals den Film ‚SMS für dich‘ entwickelt haben, erhielten wir Feedback, dass die weiblichen Rollen ruppig miteinander reden würden. Dabei bin ich mein gesamtes Leben von engen, langjährigen Frauenfreundschaften umgeben, die genau so sind: klar, deutlich und ehrlich. Für mich und meine Freundinnen gehört es zu einer Freundschaft dazu, sich einander auf die Schippe zu nehmen.  

Was die Ausgangsfrage betrifft, bin ich über die momentane Entwicklung und das Erstarken von ungesunden Männlichkeitsbegriffen natürlich besorgt. Ich glaube trotzdem, dass das Bewusstsein, das wir in den letzten Jahren geschaffen haben, nicht aufzuhalten ist. Ich glaube, dass da Samen gesät wurden, die blühen werden.“

 

 

Es gibt Frauen, die meinen, von patriarchalen Strukturen zu profitieren. Das zeigst du im Film deutlich, in dem du auch weibliche Rollen misogyn darstellst. Wo endet für dich (weibliche) Fehlbarkeit und wo beginnt strukturelle Diskriminierung? 

„Wir sind im Patriarchat aufgewachsen und tragen es in uns. Es ist daher sehr leicht, Frauen zu spalten. Wenn wir permanent darüber diskutieren und verurteilen, wie sich eine Frau verhält, für welchen Erziehungsstil sie sich entscheidet, was sie trägt oder ob sie operiert ist, etc., dann kreieren wir nur mehr Spaltung. Mir ist wichtig, dass sich Frauen zusammentun und sich nicht be- oder verurteilen, ich möchte nicht in dieses Fahrwasser kommen. Mir ist es lieber, wenn wir miteinander Brücken bauen für die Freiheit von allen, ungeachtet unserer individuellen Meinungen und Lebensentscheidungen.

Für mich war die Beschäftigung mit dieser Geschichte eine Erkenntnisreise. Im Film fällt der Satz: ‚Es ist gut, dass es Prostituierte gibt, sonst gäbe es viel mehr Vergewaltigungen‘. Das hätte vor zehn Jahren auch noch von mir stammen können. Vor drei Jahren wusste ich auch noch nicht, wie das ganze Organ der Klitoris wirklich aussieht, das habe ich erst durch die Recherche zum Film erfahren. Und das zeigt einfach, wie sehr wir von der Umgebung geprägt sind, in der wir aufgewachsen sind und diese zu hinterfragen oder ungleiche und ungerechte Strukturen zu erkennen, kostet Kraft und Zeit. 

Die Strukturen, in denen wir leben, werden von verschiedensten Menschen aus unterschiedlichen Gründen reproduziert. Im Film sagt Kia, die Kollegin von Emilia Schüles Figur Julie, ganz deutlich, warum sie gegen Machtmissbrauch am Arbeitsplatz nicht vorgehen möchte. Ich finde diesen Punkt absolut verständlich und nachvollziehbar, da man auch die Möglichkeiten haben muss, Widerstand leisten zu können. Wir wollten diese Perspektive unbedingt erzählen, weil es nicht einfach ist, Ungerechtigkeit zu benennen und gegenzuhalten.“

 

Malick Bauers und Nora Tschirners Rollen als Lehrpersonen sehen sich zu Beginn mit großem Widerstand seitens der Schüler*innen konfrontiert. Im Film löst sich dieser auf. In der Realität verlieren wir vor allem viele junge Männer an toxisch-männliche Vorbilder. Elon Musk und Andrew Tate sind reaktionär, rassistisch, frauenfeindlich und vor allem: sehr erfolgreich in den sozialen Medien. Wie können wir dem mit Kunst und Kultur entgegenwirken? 

„Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Und ich weiß nicht, wie groß dieser Trend ist. Ich habe aber das Gefühl, dass es viele junge Männer gibt, die bereits ganz anders sozialisiert sind als die Generation davor. Für die patriarchale Privilegien keine Selbstverständlichkeit mehr sind, die ein viel größeres Bewusstsein für das Machtgefälle und keine Lust auf toxische Männlichkeit haben. Diese Realität nehme ich auch wahr und möchte sie unbedingt betonen. Und trotzdem gibt es sehr konservative Umgebungen, von denen sich Menschen angezogen fühlen, weil sie einfacher erscheinen.

Ich glaube aber, dass Menschen Sehnsucht nach einer Umgebung haben, in der sie ausatmen können. Toxische Männlichkeit verspricht ihren Anhängern etwas, das sie nicht einlösen wird. Wenn im Gegensatz dazu menschenfreundlichere Umgebungen entstehen, in denen ein Ausatmen möglich wird, werden diese eine Magnetwirkung haben. Weil sie schön und kraftvoll sind, weil sie Liebe und Konsens auf Augenhöhe ermöglichen. Ich glaube, dass Liebe erst auf Augenhöhe erblüht und Sexualität mit Konsens etwas sehr Anziehendes ist, wenn man es mal erlebt hat. Sobald Menschen, die meinen, vom Patriarchat zu profitieren, diese Art von Zusammensein erleben, wird das wie eine Droge wirken.“

Nora Tschirner und Karoline Herfurth in einer Szene aus „Wunderschöner“ | © 2025 Hellinger / Doll Filmproduktion GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Anne Wilk
Nora Tschirner und Karoline Herfurth in einer Szene aus „Wunderschöner“
Foto: 2025 Hellinger / Doll Filmproduktion GmbH / Warner Bros. Entertainment GmbH / Anne Wilk

Dieser Gedanke rührt zu Tränen … 

„Ich meine das ganz ehrlich. Nora (Anm.d.Red. Nora Tschirner) sagt das so schön: überholen, ohne einzuholen. Das mag ich gerne. Im Film haben wir das übersetzt mit dem Satz: Ich gehe lieber dahin, wo ich eine Katze sein kann. Manchmal lohnt es sich nicht, wie ein Tiger Umgebungen zu bekämpfen, weil das eine Kraftverschwendung sein kann. Manchmal sollten wir einfach woanders Räume erschaffen und auf Leute warten, die sich dazugesellen, weil da so schöne Blumen herumstehen.“  

 

Ein Schlüsselmoment für uns ist diese eine Szene in der Küche. Du, in der Rolle von Sonja, stehst vor deinem Mann und sagst: „Ich will nicht mehr kämpfen, nur damit du mich verstehst. Ich will irgendwann auch noch mal Zeit für anderes haben!“. Machen wir uns in der traditionellen Kleinfamilie eigentlich alle etwas vor?   

„Das ist eine sehr individuelle Entscheidung und für mich drückt sich Freiheit immer in Wahlfreiheit aus. Menschen sollten sich die Lebensentwürfe gestalten können, die sie sich wünschen. Heutzutage leben wir in Strukturen, in denen wir auch Russisch Roulette spielen. Weil die Frage, an welchen Mann man gerät, existenzielle Auswirkungen hat. Wenn du das Glück hast, an einen sogenannten ‚guten‘ Mann zu geraten, dann kannst du gleichberechtigt und schön leben.

Wenn man Pech hat und an einen psychisch oder physisch gewalttätigen Mann gerät, was sich nicht so schnell erkennen lässt, dann ist es nicht einfach, sich davon zu lösen. Sobald Kinder dazukommen, sind die Strukturen besonders frauenfeindlich, da Gewalt sich auch durch finanzielle Abhängigkeit ausdrücken kann. Ich kann also sehr gut nachvollziehen, dass viele Frauen aufgrund der vielen Gewaltdelikte gegen Kinder und Frauen keine Lust mehr auf ein traditionelles Beziehungsmodell haben." 

 

„Viele Menschen kämpfen miteinander und denken, dass es sich dabei um einen persönlichen Streit handelt. In Wirklichkeit verhandeln sie Strukturen, die sie selbst nicht gebaut haben.“

Grundsätzlich glaube ich fest an das Gute im Menschen und fühle, dass wir eine große Sehnsucht nach einem Miteinander haben. Ich bin selbst in einer heterosexuellen Ehe und habe einen ganz wundervollen Mann, mit dem ich gemeinsam wachsen kann. Natürlich sind auch wir von einem System geprägt, das es Frauen schwermacht, sich zu entfalten. Die Frage ist aber, vor allem in einer Beziehung, wie bereit und wie fähig wir zum Wachsen sind. Das ist keine leichte Aufgabe.

Viele Menschen kämpfen miteinander und denken, dass es sich dabei um einen persönlichen Streit handelt. In Wirklichkeit verhandeln sie Strukturen, die sie selbst nicht gebaut haben. Diese Strukturen werden zu einer Realität, die sie nicht ändern können. Jedenfalls nicht in den eigenen vier Wänden.“

Wo hat die Liebe in diesem System dann noch Platz? 

„Ich halte es für besonders wichtig, dass wir System und Liebe voneinander trennen. Weil die Liebe füreinander und die Sehnsucht nacheinander ganz oft nichts damit zu tun haben. Wir erzählen das im Film so schön mit Sonja und Milan (Friedrich Mücke) – die lieben sich sehr. Es sind die Strukturen, an denen sie sich als Eltern abarbeiten und die dazu führen, dass sie als Paar in alte Rollenmuster verfallen.

Care-Arbeit wird weltweit zu über 75 Prozent von Frauen übernommen, das sind alles Muster, die im Film auf den Tisch kommen und verhindern, sich mit liebevollen Augen sehen zu können. Erst die Trennung hat bei beiden dazu geführt, dass sie sich als Paar wieder spüren konnten. All das ist natürlich nur in einer Beziehung auf Augenhöhe möglich. In Beziehungen, in denen Gewalt vorherrscht, geht es um politische Strukturen, die Frauen im Stich lassen. Das wird meiner Meinung nach viel zu wenig beachtet.  

Ich glaube aber weiterhin an die romantische Liebe, ich bin eine totale Romantikerin. Ich glaube daran, dass diese auch in einer traditionellen Kleinfamilie auf Augenhöhe existieren kann. Das kann sich tatsächlich jede Frau fragen: Wie unabhängig bin ich? Kann ich mich jederzeit trennen? Kann ich nein sagen, ohne existenzielle Folgen zu haben? Auch sexuell? Habe ich Zeit für andere schöne Dinge, oder bin ich nur beschäftigt damit, diese Strukturen zu verhandeln?“

 

Brauchen wir ein Happy End in der Fiktion, um an ein Happy End in der Realität zu glauben?

„Das Ende unseres Films war härter geplant, als wir es schlussendlich umgesetzt haben. Wir haben uns dafür entschieden, mit einer Utopie zu enden. Denn bis heute erhebt sich kein Stadion, wenn es auf dem Feld einen sexuellen Übergriff live mitverfolgt.

In der öffentlichen Diskussion ist Gegenwehr als Mittel gegen sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch immer noch nicht selbstverständlich. Frauen erleben immer wieder, wie stark und mutig wir seien müssen, um Übergriffe anzuzeigen. Und oft verlaufen diese im Sand, weil der Rechtsstaat nicht handelt oder immer noch auf falschen Annahmen in Gewaltsituationen entscheidet, als würde ein „Nein“ eine Vergewaltigung erst zu einer machen.  

Ich bin aber eine Optimistin und glaube, dass Menschen manchmal nicht wissen, wie sie ins Miteinander finden. Ich glaube, dass es uns stärker macht, wenn wir mit einer Hoffnung aus einer Geschichte gehen. Für mich ergibt es natürlich Sinn, Realität abzubilden und Dinge so zu benennen, wie sie sind.

Das heißt aber nicht, dass ich sie nicht zu etwas Schönerem gestalten kann. Es ist wichtig, sich schöne Umgebungen zu bauen, in denen man sich verbinden kann. Gerade in diesen Zeiten ist es nötig, Geschichten zu erzählen, die uns nicht allein lassen. Denn das sind wir nicht, wir sind viele.“

 

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