Underconsumption Core

Warum weniger zu kaufen mir geholfen hat, mich besser zu fühlen

8 Minuten
Shoppingtüten in Knallorange | © GettyImages/ MirageC
Weniger kaufen kann eine ganz schöne Challenge sein. Aber es kann auch bereichern.
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Ich liebe Trends – aber der ständige Konsumdruck hat mich und unter Druck gesetzt. Warum bewussteres Konsumieren und Underconsumption nicht nur mir, sondern uns allen guttut.

Die neuesten Trends für den Herbst (vorzugsweise in Chocolate-Brown), das iPhone 17, Blushes und Lippenöle in verschiedensten Farben und Nuancen oder limitierte Labubus: Das sind nur einige Beispiele, die den aktuellen Konsum in den sozialen Medien beschreiben. Unsere Gesellschaft lebt davon, dass wir immer mehr Dinge haben wollen, Schnäppchen hinterherjagen, auf die wichtigsten und neuesten Trends aufspringen. Aber wann und ob ist es eigentlich genug und warum kann es sogar gut sein, immer wieder innezuhalten und sich nach den Dingen umzuschauen, die wir bereits haben?

Ich habe mich die letzten Monate intensiv mit dem Thema "Underconsumption" beschäftigt und mir eine Challenge gesetzt, in den verschiedensten Lebensbereichen so wenig wie möglich Neues zu kaufen und zu konsumieren, vorrangig deshalb, weil ich so gut wie alles, was ich im Alltag brauche, bereits besitze. So erging es mir.

 

Konsum als Normalität

"Underconsumption", bedeutet auf Deutsch "Unterkonsum", "Unterverbrauch" oder "Minderverbrauch" und beschreibt eine bewusste Entscheidung, weniger zu konsumieren und nur das zu kaufen, was man wirklich benötigt. Der Trend zielt darauf ab, den eigenen Konsum zu hinterfragen, vorhandene Dinge länger zu nutzen oder zu reparieren, anstatt Impulseinkäufen nachzugehen. 

Zugegeben: Ich hänge zeitweise viel zu viel auf Instagram und TikTok und Pinterest herum, mein Algorithmus ist voll mit Modethemen, Beautytricks und Stylinginspirationen. Fotos und Videos zeigen mir die neuesten Teile von H&M, Zara und Co. und das, was gerade in Kopenhagen auf den Laufstegen und vor allem den Straßen getragen wird. Um fair zu sein, muss ich sagen, dass ich auch aktiv nach Outfitinsprirationen und Tipps suche, und sich daher der Algorithmus natürlich anpasst.

Aber mit Mode- und Beauty-Content noch lange nicht genug. Es ist mittlerweile ein ganzer Lifestyle, der konsumorientiert daherkommt und so begehrenswert wirkt, dass ich mich dabei ertappe, ihn oft auch so leben zu wollen. Creator*innen zeigen nicht nur angesagte Reiseziele wie New York oder Italien, sie setzen ihre Morgenroutinen in Szene, starten ihren produktiven Alltag mit Sport und nehmen ihre Follower*innen mit in ihren Alltag, der vor Leichtigkeit und Perfektionismus oft nur so strotzt (zumindest auf meiner For-You-Page).

@alinawiema Underconsumption Core ist ja gerade in aller Munde hehehe. Deswegen hier meine Tipps zu dem Thema weniger konsumieren uuuund Tipps zum sparen 🌝💸 #underconsumptioncore #underconsumption #howtounderconsumption #howto #underconsumptiondeutsch ♬ Originalton - alinawiema

Geld spielt bei all dem Content kaum eine Rolle. Dass wir alle genug davon haben müssten, wird vorausgesetzt. Brunchen, einen Stadtbummel durch die hipsten Boutiquen, zwischendurch Kaffee, abends mit Freunden essen gehen und in eine Bar. Danach schaut man, ob die Nacht noch jung ist oder der Tag vorbei.

Ich verstehe das Prinzip dieser Content Creator*innen und Influencer*innen, sie verkaufen nicht nur Produkte, sondern auch einen Lebensstil, jedoch frage ich mich immer wieder, ob ihr Impact auf die Zuschauerschaft ihnen bewusst ist. Und zwar nicht nur auf eine jüngere Zielgruppe, sondern auch auf mich.

Denn ich fühle mich so oft erschlagen und unter Druck gesetzt von dem Konsum um mich herum. Denke, ich sollte doch Rabatte nutzen, da das die „einzige Gelegenheit“ ist, ich würde etwas verpassen, wenn ich den neuesten Pullover nicht auch habe oder wenn ich Freitagabend nicht ausgehe. Wenn man ein Teenager ist, will man dazugehören, die gleichen Sachen haben wie Freund*innen, ist sich in sich selbst, in seinem eigenen Stil und dem, was zu einem selbst passt, nicht sicher.

Aber das sollte mit fast 30 Jahren nicht eigentlich anders sein, oder? Bin also ich und die, denen es ähnlich geht, das Problem oder ist es normalisierter Extremkonsum?

 

Weniger statt mehr, mehr, mehr

Auch wenn ich viel von dem Content immer und immer wieder reingespült bekomme, habe ich schon vor Monaten angefangen, meinen eigenen Konsum zu überdenken. Puuuh, einfacher gesagt als getan! Ich LIEBE shoppen, springe viel zu gerne auf die neuesten Trends auf und ja, auch ich finde, Herbst ist die schönste Jahreszeit für stylische Outfits. Ich lebe für langsame Samstage mit Windowshopping, einer langen Matcha-Pause und trinke zu gerne Pornstar Martini in schönen Bars und noch schöneren Outfits. 

Auf all das habe ich in den letzten Monaten Stück für Stück verzichtet und es im Oktober ganz sein gelassen. Ich wollte Geld sparen, klar, aber auch einfach mal ausprobieren, ob es mir wirklich fehlt. Das waren meine wichtigsten Learnings.

1. Outfit-Repeating ist ziemlich cool

Es klingt so einfach und selbstverständlich, ist in der Realität für mich oft nicht so einfach. Aber wenn man nichts Neues kaufen darf, muss man kreativ werden. Das heißt, Teile rauspicken und neue Kombinationsmöglichkeiten ausprobieren. Trag zum schwarzen Pullover doch mal viel goldenem Schmuck, anstatt ihn mit den gewohnten Ohrringen in Silber zu kombinieren.

Ich habe in den letzten Wochen zum Beispiel neue Haarstyles zu verschiedenen Oberteilen ausprobiert und somit ganz andere Looks kreiert, die ich sonst vielleicht nie getragen hätte. Dadurch bin ich jetzt in meiner Curly Girl Routine unterwegs und glücklich darüber.

Und ja, ich weiß: Neue Teile für den Herbst klingen immer wie ein Gamechanger und verlockend. Aber wirklich: Traue dich, neue Kombinationen zu probieren. Vielleicht liegt das Geheimnis auch ein bisschen darin, Kleidungsstücke wieder neu lieben zu lernen und ihnen neues Leben einzuhauchen

2. Viel zu haben ist NICHT normal

Viel zu oft ertappe ich mich bei dem Gedanken, wie Menschen in meinem Umfeld oder auf Social Media es sich leisten können, so viel von allem zu besitzen, uns ständig Neues zu kaufen. Aber das ist völlig egal! Denn der Extremkonsum, der oft nicht nur durch Shoppinghauls, sondern auch durch Präsentieren von Konsumgütern im Alltag glorifiziert wird, ist nicht die Normalität. Wir brauchen keine zwanzig farblich passende Sportsets in den ausgefallensten Farben und Muster. Warum reichen denn nicht zwei, die bequem sind und zu allem passen? Anziehen, waschen, wieder anziehen, fertig. Warum reichen nicht drei Blushes in unterschiedlichen Farben, und drei Lippenkombinationen, die dir wirklich stehen?

Das bekannte „Mädels, rennt zum dm“, soll uns allen das Gefühl von FOMO (Fear of Missing out) geben, wenn wir etwas, was vermeintlich alle anderen haben, nicht haben. Meine Erfahrung dazu ist, dass ich wirklich nicht mehr als die Sachen brauche, die ich zu Hause habe.

Und diese Erkenntnis kommt daher, dass ich mich über Wochen einfach nur mit den Sachen beschäftigt habe, die ich tatsächlich habe. Haben, haben, haben wollen führt doch irgendwann auch dazu, dass man so viel hat, was man eigentlich nicht alles aufbrauchen oder tragen kann, oder? 15 Lidschattenpaletten, 24 Strickpullover in allen Nuancen und zu jeder Jahreszeit eine Wagenladung neuer Deko ist nicht normal! Content auf den sozialen Medien zu machen, ist der Job vieler, die uns weismachen wollen, dass wir das alles brauchen. Der Unterschied ist da nur, dass es ihr Job ist, zu konsumieren und zu Konsum anzuregen. Ich glaube, das sollten wir uns immer wieder bewusst machen.

 

Was habe ich durch Underconsumption gelernt?

3. Finanzielle Verletzlichkeit zugeben ist keine Schwäche!

Ein sehr persönlicher, aber für mich in den letzten Monaten ein Punkt, der einen riesigen Unterschied gemacht hat. Klar habe ich die Underconsumption-Challenge dafür gemacht, weniger zu konsumieren, aber genauso wichtig war mir die finanzielle Komponente. Ich musste geldtechnisch unbedingt zurückstecken. Oft ist bei Treffen mit meinen Freunden aber Abendessen, Kaffee oder Drinks angesagt. Das war bei mir die letzten Wochen aber ganz einfach nicht drin und ich habe mich anfangs wirklich geschämt, es vor meinen Freunden zuzugeben. Dabei ist das so wichtig!

Jeder wird im Leben mal finanzielle Engpässe haben oder Geld ausgeben unterschiedlich priorisieren. Und es ist keine Schwäche, mal weniger Geld zu haben. Es zählen immer die Umstände mit rein und es wird irgendwann immer wieder besser! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wirklich alle dafür Verständnis hatten, wenn für mich die teuren Drinks oder Shoppingsamstage einfach flachgefallen sind. Reden, sich mitteilen, zugeben, dass es gerade schwierig ist, ist so mutig. Und außerdem geht es am Ende ja um Gemeinschaft und eine gute Zeit. Die kann man auch haben, ohne viel Geld auf den Kopf hauen zu müssen, oder?

4. Du willst mehr von dem, was du konsumierst

Eigentlich gehören Stylig-Inspirationen, die neuesten Runway-Looks und trendige Beautyprodukte zu meinem Alltag. Natürlich im Job als Redakteurin, aber dadurch auch privat. Und je mehr ich mich damit beschäftige, desto mehr habe ich auch das Bedürfnis, zu shoppen.

Deshalb habe ich versucht, in den letzten Wochen bewusst auf Hauls zu verzichten, habe H&M Werbung extra weggeklickt und mich eher mit dem anderen Extrem, also Underconsumption Core zu beschäftigen, um für mich einen guten Mittelweg zu finden. Es gehört also dazu, bewusst auf das Konsumieren von Konsum zu verzichten. Braucht Disziplin, hilft aber!

5. Ja, Underconsumption fällt schwer. Mir zumindest

Mir hat die Challenge viel bewusst gemacht und mich zum Nachdenken gebracht. Einiges will ich definitiv auch beibehalten, gerade was materiellen Konsum angeht. Aber um ehrlich zu sein, fiel mir das Ganze am Anfang sehr schwer, gerade wenn es um Verabredungen geht. Ich glaube, meine größte Schwierigkeit liegt darin, einfach hier und da mal Geld auszugeben, ohne bewusst darüber nachzudenken. In Gesellschaft gebe ich gerne Geld aus und will das auch in Zukunft beibehalten. Daraus resultieren oft die besten und spontansten Abende. Und der Part fiel mir besonders schwer: Freunden abzusagen, auf gute Drinks zu verzichten, auf Kaffee oder Matcha außer Haus zu verzichten. Spaßgetränke im Supermarkt stehenzulassen, weil es einfach nicht nötig ist. Ganz ehrlich: Ich freue mich schon darauf, mir im Dezember wieder ein bisschen zu gönnen.

Ich verstehe so gut, dass es sich toll anfühlt, zu konsumieren. In unserem Hirn wird so viel Dopamin freigesetzt, dass der Moment, in dem wir etwas Neues kaufen, was wir unbedingt wollen und vermeintlich brauchen, großartig ist. Außerdem erzeugt es oft ein Gefühl von Zugehörigkeit, das zu haben, was alle anderen auch haben.

Und für den upcoming Black Friday gilt übrigens das Gleiche: Es ist eine Konsumschlacht voller Rabatte, die eigentlich nur dann sinnvoll sind, wenn wir wirklich etwas brauchen uns sich eine Investition lohnt. Denn irgendwann sieht man das Wesentliche vor lauter Konsum-Bäumen nicht mehr. Ich glaube, in diesem ganzen Thema sollten wir mehr lernen, immer wieder einen Schritt zurückzugeben. Denn wir alle haben schon viel und mehr als genug.

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