Kleiderpsychologie

Wie man das Chaos im Kleiderschrank in den Griff bekommt

Dr. Jennifer Baumgartner im Interview. | © iStock | Dean Drobot
Dr. Jennifer Baumgartner im Interview.
© iStock | Dean Drobot

Höchste Zeit, im Schrank aufzuräumen und unsere Shopping-Gewohnheiten zu ändern!

Ein Anruf bei Dr. Jennifer Baumgartner, die gerade in Washington ist, aber eigentlich in Maryland lebt. Die promovierte Psychologin schrieb das Buch "You Are What You Wear: What Your Clothes Reveal About You" (bislang leider nur in Englisch). Sie weiß, wie man das Chaos im Kleiderschrank in den Griff bekommt und Shopping-Gewohnheiten ändert. Die Amerikanerin klingt übrigens so, wie sie aussieht: gut gelaunt und aufgeräumt.

Experten-Interview zum Thema Schrank ausmisten

Warum kaufen wir eigentlich immer wieder ähnliche Kleidungsstücke, obwohl im Schrank etwas ganz anderes fehlt?

Weil wir aus Erfahrung wissen: Darin fühle ich mich wohl und sicher. Das können Ringelpullis sein, dunkelblaue Blazer oder graue Sweatshirts. Bei mir sind es cremefarbene Cashmere-Pullover.

Wie sieht es in Ihrem Schrank sonst so aus?

Übersichtlich, aber auch erst, seit ich einen Burnout hatte. Bis dahin habe ich versucht, mich modisch zu kleiden, habe viel zu viel gekauft und bin allen Trends hinterhergejagt. Mein Schrank glich einem Biest, das mir Angst machte. Schnell etwas rausnehmen und Tür zu! Das Chaos wird sich schon von allein regeln. Als ich gezwungen war, mich auszuruhen, hatte ich Zeit zum Nachdenken, dann zum Sortieren.

Sind das die zwei Schlüsselwörter?

Im Grunde ja. Meinen Patienten helfe ich mit einer psychologischen Stil-Analyse. Es gibt schwierige Fälle, die ihren Körper hassen, oder Shopping-Süchtige, aber die meisten Frauen leiden unter dem Chaos in ihrem Schrank und dass sie zu viel Geld für Sachen ausgeben, die sie nicht tragen. Generell gilt: Hört euren Kleidern zu – sie reden mit euch! So, so, was erzählen die denn? Was im Leben stimmt oder eben nicht. Bin ich, was ich trage? Kleide ich mich sportlich, weil ich es will oder weil ich mir meine Weiblichkeit nicht zugestehe? Ziehe ich wie meine Tochter UGG-Boots und Röhrenjeans an, weil ich Angst vorm Älterwerden habe? Oder zeigt der bequeme Mutti-Look, dass ich mich mehr um andere als um mich kümmere? Ist mein Kleiderschrank so farblos, weil mich meine Beziehung langweilt? Selbsterkenntnis ist die Voraussetzung für den praktischen Teil.

Was haben Sie über sich herausgefunden?

Mich stresst es, modisch up to date zu sein. Ich habe mir eingestanden, dass ich der klassischsportliche Typ bin. Und dass ich nicht lässig aussehen muss, um es zu sein. Wenn ich arbeite, trage ich ohnehin eine Art Uniform – weiße Bluse, Jeans, Perlenohrringe –, damit sich mein Gegenüber auf das konzentriert, was ich sage. Also habe ich meinen Schrank komplett ausgemistet und eine Struktur gefunden, die mir im Alltag hilft. Auf einer Seite hängen meine Joboutfits und gegenüber die Freizeitsachen. Für jedes neue Teil müssen mindestens drei alte weg. Wenn ich ein perfektes Basic wie z. B. ein Tanktop finde, kaufe ich es zweimal. Und ich habe mir angewöhnt, jeden Sonntagabend meine Handtasche zu entrümpeln.

Interessant. Bitte noch mehr konkrete Tipps!

Setzt euch Termine. Es ist wie mit dem Abziehen eines Pflasters: Nicht lange nachdenken, machen! Räumt den Schrank in Etappen komplett aus. Das Bett eignet sich dafür, sich einen ersten Überblick zu verschaffen. Mit dem Stapel anfangen, der einem den meisten Spaß macht, das hebt die Laune. Müllsäcke bereitlegen und sich von allem trennen, was Mängel aufweist und sich nicht reparieren lässt. Vergesst nicht die Unterwäsche, Socken und Accessoires. Schaut alles durch und probiertes noch mal an. Danach sollte sich der Inhalt des Schranks um mindestens ein Drittel reduziert haben. Nach der ersten Runde eine Pause einlegen und eine Freundin hinzuziehen, deren Geschmack ihr schätzt. Der führt ihrdie Sachen vor und entscheidet danach, was tatsächlich bleibt.

Genau das ist ja die Herausforderung: Was darf bleiben?

Alles, was euch steht und in euer Leben passt. Raus mit den Stilettos, in denen die Füße höllisch wehtun, weg mit der Reithose, die nur ein schlechtes Gewissen macht, weil sie nie benutzt wird. Es geht darum, eine working wardrobe zu erstellen, also eine Garderobe, die funktioniert, auf die man ohne Nachdenken zurückgreifen kann. Lieblingsteile genügen da nicht, sondern Stücke, die zusammen ein Outfit ergeben. Das Durchdenken der Garderobe schützt vor Last- Minute-Einkäufen. Die Situation kennen wir doch alle: unter Zeitdruck ein Kleid, High Heels und eine Clutch besorgen, Dinge, die man nach dem Abend nie wieder trägt.

"Für jedes neue Teil müssen mindestens drei alte weg"

Wie kann man da vorbeugen?

Kleider und Mäntel kaufen, wenn sie einem begegnen. Designer suchen, deren Schnitte vorteilhaft sind. Dafür muss man natürlich wissen, welche Körperpartien man an sich mag und welche man besser verstecken möchte. Stellt euch eurem Spiegel! Aber nicht im Laden, sondern zu Hause, in Ruhe und mit weichem Licht. Ein neuer Typ entsteht nicht über Nacht, beginnt mit kleinen Schritten und experimentiert mit Accessoires. Das erfordert nicht so viel Mut.

Warum tun wir uns eigentlich so schwer, ein Kleid wegzugeben, das wir ohnehin nie tragen?

Pure Nostalgie! Das Kleid steht für eine Lebensphase, die Erinnerung an eine bestimmte Party, an die wir gern zurückdenken – manchmal auch an die Figur, die wir mal hatten (lacht). Dabei braucht man gar nicht dieses Kleid, um sich zu erinnern. Die Gefühle sind ohnehin abgespeichert, es genügt ein Impuls, um sie zu aktivieren. Macht doch ein Foto, bevor ihr das Kleid weggebet.

Victoria Beckham legt sich am Abend immer zwei komplette Outfits inklusive Accessoires für den nächsten Tag raus. Ein Kontrollfreak?

Nein, so einfach lassen sich da keine Rückschlüsse ziehen. Für mich klingt das eher nach einer viel beschäftigten Frau, die sich morgens um ihre Kinder kümmern muss und tagsüber arbeitet. Und nach jemandem, der sich ziemlich gut kennt. Sie hat wahrscheinlich abends mehr Muse, sich darüber Gedanken zu machen. Es gilt: Hauptsache, es funktioniert. Die Aufgabe ist, das herauszufinden, und dann entsprechend zu handeln.

 

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