Ohne Parabene, Silikone und Mikroplastik soll die Creme sein, nur hochwertige Bio-Inhaltsstoffe enthalten und am besten noch nachhaltig verpackt sein. Das sind inzwischen die Anforderungen, die viele Menschen beim Kauf von Beauty-Produkten stellen - und die Liste geht noch weiter! Von wegen "öko" und "spießig". Das Motto lautet: Je grüner, desto besser. Naturkosmetik erfreut sich großer Beliebtheit, denn uns ist längst nicht mehr egal, was wir auf unsere Haut geben und welche Folgen es für die Umwelt hat. Doch auch bei Naturkosmetik gilt es ein paar Dinge zu beachten: Woran ihr zertifizierte Naturkosmetik erkennt und welche exotischen neuen Inhaltsstoffe gerade die grüne Beauty-Branche erobern.
Es ist kein Geheimnis: Naturkosmetik ist beliebter denn je. Immer mehr Menschen greifen zu Deos, Shampoos, Cremes und Lippenpflege mit natürlichen Inhaltsstoffen. Eine Milliarde Euro wird pro Jahr in Deutschland mit Naturkosmetik umgesetzt, die Wachstumsraten liegen bei 20 Prozent. "Je mehr Technik und digitale Möglichkeiten im Alltag dominieren, desto stärker haben Menschen das Bedürfnis, sich der Natur zu zuwenden", erklärt Dr. Christina Kraus, Pharmazeutin und Gründerin des Naturkosmetik-Shops Greenglam in Augsburg, das Phänomen. Auch Hersteller von herkömmlicher Kosmetik setzen verstärkt auf Pflanzen: Koriander und Orangen (Kiehl's), Aprikosenöl (Elizabeth Arden), Longoza aus Madagaskar (Dior) oder Shiitake-Pilze (Sisley). Vorreiter sind die Labore der Naturkosmetikhersteller, die seit Jahrzehnten ausschließlich nach botanischen Wirkstoffen suchen.
Der Begriff "Naturkosmetik" ist in Deutschland rechtlich nicht geschützt. Um zertifizierte Naturkosmetik daher von herkömlichen Beauty-Produkten zu unterscheiden, empfiehlt es sich auf die Siegel zu achten. Zuverlässige Naturkosmetik-Siegel in Deutschland sind das BDIH-Siegel und NATRUE-Siegel.
Naturkosmetik-Siegel stellen im Bezug auf die Inhaltsstoffe höhere Ansprüche an Kosmetikunternehmen als die gesetzliche EU-Kosmetik-Verordnung. Eine gute Übersicht über alle Siegel für Naturkosmetik, vegane und tierversuchsfreie Kosmetik sowie Allergiker-Produkte bietet die Verbraucherzentrale. Mit der App CodeCheck könnt ihr außerdem jedes Produkt auf ihre Inhaltsstoffe überprüfen.
Doch warum steigen immer mehr Menschen auf Naturkosmetik um? Die Gründe dafür sind vielfältig. Für Mensch, Tier und Umwelt bietet Naturkosmetik zahlreiche Vorteile:
In naturkosmetischen Produkten sind Inhaltsstoffe auf Erdölbasis (z.B. Paraffine), welche im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, verboten. Stattdessen wird mit pflanzlichen Ölen (z.B. Mandelöl, Jojobaöl) gearbeitet.
Es kommt nur rein, was gut ist: Auf chemische Substanzen, künstliche Farb- und Duftstoffe sowie Konservierungsstoffe (z.B. Parabene) wird in Naturkosmetik verzichtet.
Auch umweltbelastende Stoffe wie Mikroplastik oder chemische UV-Schutzfilter sind in Naturkosmetik-Produkten nicht enthalten.
Generell achten Naturkosmetik-Hersteller mehr auf eine nachhaltige Verpackung, kurze Lieferketten und eine klimaneutrale Produktion. Um weniger Abfall zu produzieren, werden häufig recycelte Materialien eingesetzt.
Gut zu wissen: Naturkosmetik bedeutet nicht automatisch "bio" oder "vegan". Produkte mit dem NATRUE-Siegel enthalten beispielsweise zu 95 Prozent Inhaltsstoffe aus kontrolliertem biologischen Anbau. Beim BDIH-Siegel schreibt eine Liste vor, welche pflanzlichen Inhaltsstoffe auch Bio-Qualität haben müssen - alle anderen nicht unbedingt. Wer zudem Wert darauf legt, dass Kosmetik frei von tierischen Inhaltsstoffen sowie tierversuchsfrei ist, kann sich an Kennzeichen wie der grünen "Veganen Blume" oder "Leaping Bunny" orientieren.
Was die Kosmetik-Industrie meist synthetisch herstellt, lässt sich aus rein natürlichen Rohstoffen auch für Naturkosmetik generieren. "Peptide können durch enzymatische Prozesse aus Weizen oder Erbsen gewonnen werden. Hyaluronsäure als Feuchtigkeitsspender wird in Bio-Kosmetik aus Mikroorganismen erzeugt", erklärt Henrike Neuhoff, Leiterin Forschung und Entwicklung beim deutschen Naturkosmetik-unternehmen Laverana. Inzwischen kann man sogar auf nieder molekulares Hyaluron in Bio-Qualität zurückgreifen, das tief in die Hautschichten eindringt. Die Strukturen von natürlich oder synthetisch hergestelltem Hyaluron sind unter dem Mikroskop identisch. "Die INCI-Bezeichnung ist dieselbe, deshalb erkennt der Verbraucher beim Blick auf die Packungsbeilage auch keinen Unterschied", so NaTrue- Experte Smith. Auch das Co-Enzym Q10, ein Radikalfänger, lässt sich mithilfe von Hefestämmen aus zahlreichen grünen Pflanzen fermentieren: Seine faltenglättende Wirkung in organischer Kosmetik kann es mit der seiner Konkurrenten locker aufnehmen. Der gängige Rat, mit zunehmendem Alter müsse man von Bio auf stärkere Aktivstoffe traditioneller Beautyprodukte umsatteln, ist längst nicht mehr wahr.
Ob Unternehmen bei ihren Naturkosmetik-Produkten auf heimische Wurzeln, Früchte und Blüten setzen oder in den Wüsten Afrikas nach neuen Ingredienzen für die Hautpflege suchen, hängt von ihrer Philosophie ab. In den Gärten von Dr. Hauschka gedeihen am Rande der Schwäbischen Alb über 150 verschiedene Heilpflanzen für Cremes oder Arzneimittel - von Ackerschachtelhalm bis Zaubernuss. Manches sieht absolut unspektakulär aus, bewirkt aber Erstaunliches. Die Potentilla officinalis (Blutwurz) etwa: ein unscheinbares Blümchen, deren Wurzel voller antibakterieller Gerbstoffe steckt, die sogar von Neurodermitis geplagte Haut ins Gleichgewicht bringen. "Selbst ganz Alltägliches wie Karotten oder Äpfel hat großes Beauty Potenzial", sagt Dr. Constanze Stiefel von Dr. Hauschka, "Carotinoide machen die Haut geschmeidig, Polyphenole aus der Apfelfrucht wirken antioxidativ."
Bei Weleda, ebenfalls mit eigenen Gärten in Europa, Brasilien, Argentinien und Neuseeland, erforscht man Pflanzen wie die Nachtkerze bis zu vier Jahre, beobachtet die Entwicklung vom ersten Trieb an und verwendet sie, analog zur anthroposophischen Unternehmensphilosophie, ihrem Charakter entsprechend in Kosmetikprodukten. Die Nachtkerze blüht in der Dämmerung und hat sich neben den regenerierenden und feuchtigkeitsspendenden Eigenschaften auch deshalb für die Pflege reifer Haut und fürs Anti Aging empfohlen.
Ein exotischer - und recht teurer - Newcomer in der Naturkosmetik ist Kaktusfeigenkernöl. In den Samen der ursprünglich aus Mexiko stammenden Kaktee sind in Hülle und Fülle enthalten: Aminosäuren, die die Produktion von Kollagen stimulieren, Vitamin K gegen Augenschatten und essenzielle Fettsäuren für die Zellerneuerung der Haut. Deshalb erfährt Opuntia ficus-indica, so der lateinische Name, der auf den Packungen z. B. von Kahina Beauty oder dem Label Le Pure steht, derzeit einen so großen Hype wie zuletzt Arganöl.
Noch ein Aspirant am Wirkstoffhimmel der Naturkosmetik: die Dattel. "Reich an Polyphenolen, Antioxidantien, Vitaminen und Spurenelementen, regeneriert sie die kollagenen Fasern - ideal, um die Gesichtskonturen zu festigen", erklärt Christina Kraus, die als Erste eine Dattelmaske von Odaïtès auf dem deutschen Markt verkauft. "Man ist immer auf der Suche nach spannenden Neuerungen, die Naturkosmetik bereichern", bestätigt auch Dr. Henrike Neuhoff, Leiterin Forschung und Entwicklung beim deutschen Naturkosmetikunternehmen Laverana. Sie analysiert neben Honig vom Imker aus der Region auch Cupuaçu-Butter (Großblütiger Kakao) vom Amazonas und die Früchte der Patauápalme aus dem Regenwald. Dabei gehe es nicht nur um die Entdeckung bahnbrechender Wirkstoffe, sondern auch um die Verbesserung von Texturen für Lotionen oder Shampoos, erklärt die Lebensmittelchemikerin.
Acmella oleracea (Parákresse) zählt zweifelsohne zur ersten Fraktion. Das in Blüten und Blättern enthaltene Spilanthol wirkt antioxidativ und muskelentspannend und wird als Anti-Falten Wirkstoff z. B. von The Organic Pharmacy eingesetzt. In der traditionellen Medizin Asiens und Südamerikas verwendet man einen Sud der gelbroten Blüten gegen Zahn- oder Kopfschmerzen; vor ein paar Jahren entdeckte man dann auch ihren Nutzen für die Kosmetik. "Oft ist das Wissen um die Wirkung von Pflanzen jahrtausendealt", bestätigt der Chemiker Dr. Mark Smith, aber heute könnten Labore Pflanzenstoffe besser extrahieren und so neue Moleküle gewinnen. Der Brite arbeitet für NaTrue, den führenden Verband für zertifizierte Naturkosmetik in Europa mit Sitz in Brüssel, zuständig für die Bio Zulassung neuer Produkte.
Das Thema Long Lasting von Lippenstiften oder Mascara sei allerdings noch eine Herausforderung, so Henrike Neuhoff, da man (noch) keinen Ersatz für synthetische Filmbildner wie Silikone gefunden hat. Hochpigmentierte Lidschatten oder Lippenstifte in Knalltönen sind auf natürlichem Wege ebenso wenig zu realisieren wie Haarcolorationen, vor allem Blondierungen. In Sachen Sonnenschutz machen mineralische UV-Filter den Unternehmen noch zu schaffen. Der weiße Film, der auf der Haut zurückbleibt und die Strahlen reflektiert, ist typisch für organische Sonnencreme und wird häufig als störend empfunden. Der Blick für die Entwicklung neuer Naturkosmetik-Produkte geht, wie in der herkömmlichen Kosmetik üblich, oft nach Asien. Glutenfreie Kosmetik, Detox-Pflege, um der durch Luftverschmutzung verursachten Hautalterung vorzubeugen, oder Extrakte aus Vogelnestern, all das sind Tendenzen, die auch die Wissenschaftler hierzulande beschäftigen. Bei aller Wald und Wiesenromantik ist Naturkosmetik ein höchst komplexes Feld. Wenn auch eines mit viel Grün.
Im YouTube-Video auf Beauty TV gibt es DIY-Ideen, wie ihr Naturkosmetik selber machen könnt: