Kolumne: 100 Zeilen Liebe

Neidisch auf Singles

Hach, dieses Gefühl, frisch verliebt zu sein. | © Yvonne Kuschel
Hach, dieses Gefühl, frisch verliebt zu sein.
© Yvonne Kuschel

Die langjährigen Singles in seinem Freundeskreis haben plötzlich feste Beziehungen. Und York Pijahn freut sich. Ein bisschen.

Die spannendsten, klügsten und erfolgreichsten Frauen in meinem Freundeskreis sind seit Jahren Single. Ich weiß. Das klingt wie das Drehbuch für einen Jennifer-Aniston-Film. Nach Central-Park-Spaziergängen unter blauem April-Himmel, Prince-Songs, kitschig und unwiderstehlich. Und das sind die Hauptdarstellerinnen: Silke – Illustratorin. Manuela – Webdesignerin. Und Kerstin – Steuerberaterin. Meine drei Single-Freundinnen. Jahrelang haben sie Dates und kurze Beziehungen gehabt, die laut Kerstin „auf so eine ermüdende Art erfolglos“ waren. Was meine Mutter, die von Bielefeld aus seit Jahren das Beziehungsleben in meinem Freundeskreis ungefragt kommentiert, zu folgenden Sätzen animiert hat:

„Single-Männer ab 40, Antennen-Augenbrauen, ungepflegte Hände und ein klammes Junggesellen­kopfkissen zu Hause. Schrott. Da bleibt man als Frau lieber solo.“

Ich weiß, der Tag, an dem meine Mutter im Fernsehen „Mon Chéri“-essend die Weltzusammenhänge erklärt, ist nicht mehr weit. Zu spekulieren, warum Kerstin, Silke und Manuela noch Singles sind, war Redestoff für Pasta-Pesto-Pärchenabende. Wenn ich ganz ehrlich bin: Hinter den als Fürsorge getarnten und mit Küchenpsychologie gestützten Erklä­rungsver­suchen schwang immer leise Herablassung mit. Ein Hauch von „Vielleicht sind die drei ja auch selbst schuld“. Zu anspruchsvoll, zu verkorkst, zu erfolgreich, zu irgendwas. An Kerstins Geburtstag Anfang Januar, als wir die Sektgläser wegräumten, sagte Kerstin dann einen Satz, der seitdem eine Art Mantra in meinem Single-Freundeskreis ist: „Ich warte auf die zweite Runde.“ Wenn die Betonbeziehungen zerbröseln, die Klinkerhäuser in der Vorstadt verkauft, die zu großen Flachbildfernseher von der Wand geschraubt werden. Wenn es plötzlich wieder eine Menge Single-Männer und -Frauen gibt. Diese zweite Runde hat in meinem Freundeskreis gerade begonnen.

Kerstin hat jetzt seit mehr als zwei Monaten einen Freund mit zwei Kindern, Manuela einen Freund, der schon eine Tochter hat, und Silke eine „ausbaufähige Superromanze“. Wir, die Langzeitpaare, sehen alt aus wie Kleiderständer für Secondhand-Klamotten. Meine ehemaligen Single-Freundinnen haben jetzt nicht nur all das, was die anderen auch haben – Beziehungen oder sogar Kleinfamilien. Sie sind verliebt, und zwar diese „Ich schlafe nicht mehr und bin trotzdem wach“-Verliebtheit, die sich wie ein endloser Popsong anfühlt, der einen das Gesicht in einem fremden Schlaf-T-Shirt vergraben lässt.

Kerstin sagt, dass jetzt alles sehr viel schneller gehe, es sei pragmatischer, vielleicht weil man genauer weiß, wer man ist. Doch die Gefühle seien wie mit Anfang 20. Der Hammer, wie sehr einen die Liebe noch immer von den Füßen fegt.

Ich muss zugeben, dass ich etwas neidisch bin. Auf diesen Anfangs-Glamour. Meine Mutter, wie immer pragmatisch bis zum Abwinken und voller Kalenderspruchweisheiten, sagte am Telefon, dass man sich eben weiter Mühe geben müsse. Und sich an die Sachen erinnern solle, die man am Anfang für den anderen getan hat. Prince-Songs im April.

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