Lustlosigkeit

Libidoverlust: Wo ist die Lust geblieben?

bärtiger Mann fährt sich mit den Händen durch die Haare | © Unsplash.com | SHTTEFAN
Die Lust auf Sex ist unserem Autor abhanden gekommen
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Früher war es die wichtigste Sache auf der Welt. Heute denken selbst Männer kaum noch an Sex. Libidoverlust ist ein Thema, das gerne totgeschwiegen wird. Unser Autor bricht sein Schweigen und spricht über das Verschwinden der Lust auf Sex.

Ein Mann spricht offen über Libidoverlust

Kann man Sex einfach vergessen? Ich schon. Dabei weiß ich, dass er existiert. Manchmal höre ich in meinem Hinterhof Stöhnen und eine Viertelstunde danach Orgasmen, die sehr nett klingen, und in diesem glorreichen Sommer musste ich abends nur eine halbe Stunde in einem Restaurant sitzen, um zu bemerken, wie wichtig es anderen Paaren ist, nach dem Essen weiterzumachen. All die einladenden Blicke. All die glühenden Gespräche. All die verstohlenen Berührungen.

Nicht meine Veranstaltung. Und jedes Mal, wenn es wieder einmal nicht meine Veranstaltung ist, hätte ich gute Ausreden, von denen keine einzige mit Kopfschmerzen zu tun hat. Zum Beispiel, dass es mir gerade an Zeit fehlt. Oder dass mir in diesem glorreichen Sommer kalte Duschen lieber waren als heiße Berührungen. Oder dass ich an ungefähr fünf von sieben Abenden todmüde bin und mich an den restlichen beiden nicht auch noch verausgaben will. Wahrscheinlich stimmt mit mir etwas nicht. Es kann nicht normal sein, wenn ein erwachsener Mann in einer glücklichen Beziehung und ohne Sorgen kaum je an Sex denkt. Normal ist, dass Männer ständig an Sex denken. Ich war ja selbst einmal der Typ, der sich an visible panty lines von vor ihm auf der Straße gehenden Frauen erfreut hat, weil sie daran erinnern, dass Frauen Höschen tragen und man ihnen helfen könnte, diese loszuwerden, käme man mit den Frauen ins Gespräch. Jetzt denke ich fast nie mehr an Sex. Nicht an Sex mit meiner Frau, nicht an Sex mit anderen Frauen, nicht an anderen Sex als an jenen, den ich kenne. Ich habe schon anhand von Internet-Pornos überprüft, ob es vielleicht daran liegt, dass ich andere Reize bräuchte. Aber egal, was ich mir ansah, Dreier, Massagen in japanischen onsens, Zusammenrottungen auf Autobahnparkplätzen, mein Körper hat sich nicht dafür interessiert. Als wäre die Lust aus ihm entwichen, ohne vorher Tschüss zu sagen. Wie das gekommen ist? Ich weiß es doch auch nicht. Es hat sich so ergeben. Irgendwie hat sich mein Leben so verändert, dass in ihm kaum Platz für Sex ist. Ich wollte der Tochter ein guter Vater sein. Ich wollte der Frau ein guter Mann sein (das klingt ein wenig seltsam in diesem Zusammenhang). Ich wollte gute Texte schreiben. Ich wollte nicht aufhören, gute Bücher zu lesen und mir das Gesamtwerk von Netflix anzusehen. Und schon dachte ich kaum noch an Sex. Dabei hätte ich selbstverständlich genügend Zeit dafür. Jemand, der es schafft, sich alle Staffeln von "West Wing" reinzuziehen, bringt auch Geschlechtsverkehr unter.

Die Lust ist weg, ohne vorher Tschüss zu sagen 

Ich war mal anders. Wie alle libidinös intakten Männer dachte ich ständig ans Vögeln, hin und wieder sogar während ich es tat. Heute ist es mir ein wenig peinlich, Sex mal so wichtig genommen zu haben, dass ich auch mit Menschen ins Bett ging, mit denen ich keine zwanzig Minuten Konversation durchgehalten hätte - ich wollte eben keine Gelegenheit auslassen. Andererseits habe ich in meinem früheren Leben auch Pink Floyd toll gefunden. Oder Milchkaffee. Heute bekäme ich die Krise, kippte mir jemand Milch in den Kaffee. Interessanterweise hält das niemand für ein Problem. Es ist völlig normal, wenn sich in einem Leben Interessen, Prioritäten und Leidenschaften verändern. Nur wenn man damit aufhört, dem Sex hinterherzurennen, soll es ein Indiz dafür sein, dass man einen Schaden hat und eine Therapie bräuchte.

Was sagt eigentlich die Frau dazu?, würde spätestens an dieser Stelle der Therapeut fragen, den ich nicht habe. Ich könnte ihm erleichtert antworten: Es geht ihr so ähnlich. Zu viel zu tun, zu wenig Zeit, das Kind, die Arbeit, sie ist ja gerade in der rush hour ihres Lebens (während ich schon ein wenig älter bin). Also reden wir nicht groß darüber. Wie wir auch nicht groß darüber reden, dass wir nur noch selten (eigentlich überhaupt nicht) auf Rockkonzerte oder in Buchläden gehen, was wir zu Beginn unserer Beziehung ständig getan haben. Rockkonzerte würden uns jetzt wegen des Babysitters wahnsinnig viel kosten, und die Bücher deponiert der DHL- Fahrer zumindest in der Nachbarschaft. Manchmal sagen wir uns, wir sollten mal wieder. Wenn es dann klappt, ist es jedes Mal wunderschön, vertraut und sehr sexy. Doch das Drängende, Fordernde, irgendwie Gierige fehlt - dieser Sex, bei dem man übereinander herfällt, den Kopf hin und her schleudert und sich in Kissen oder Rücken verkrallt. Wir sind beide eher so der ausführliche Typ, mit Vorgeplänkel und Konversation und Frühstück am Morgen danach. Beziehungsweise waren wir es, als in unserem Leben die Prioritäten und Verpflichtungen noch andere waren. Wahrscheinlich würde sich unsere Frequenz sofort deutlich erhöhen, würden wir uns Filmsex angewöhnen.

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Aphrodisiaka | © iStock | marilyna

Die Libido, sie wird schon wiederkommen. Irgendwann. 

Immerhin bin ich nicht allein mit meiner sexuellen Unlust. Der Bestsellerautor Wilhelm Schmid hat neulich ein Buch geschrieben über den Untenrum-Burnout, den er Sexout nennt. Leider stehen darin nur Dinge, die für mich nicht infrage kommen. Zum Beispiel, dass man sich darum bemühen sollte, die erotische Spannung zu erhöhen, indem man seine Gegensätze auslebt. Oder dass man anderen Sex versuchen könnte, vielleicht auch mit anderen Menschen. Ach ja, dachte ich beim Lesen, in meinem Alter weiß ich doch längst, dass mich Rollenspiele und was es sonst noch alles gibt, nie antörnen werden. Und die Frau, mit der ich zu selten schlafe, ist erstens so sehr mein Gegensatz, dass ich mich oft frage, wie sie es mit mir überhaupt aushalten kann, und zweitens heißer als alle anderen Frauen, die ich kennenlernen könnte, an Charlotte Gainsbourg komme ich ja nicht ran. Jedenfalls ist für mich nichts weniger prickelnd als die Vorstellung einer Affäre zur Wiederbelebung der Lust. Diese Albernheiten, die man dann auf sich nehmen müsste: Kindheitsgeschichten erzählen, Empfindlichkeiten kennenlernen, Lieblingsgeschmäcker austauschen. Ich bin so froh, dass ich das alles hinter mir habe.

Was meine Libido angeht, bin ich ganz gelassen. Sie wird schon wiederkommen, einfach so, irgendwann im Winter vielleicht. Die Tochter wird bei ihrer Freundin schlafen, alle Arbeit wird erledigt sein. Wir werden einander ansehen und anlächeln und dann wird es wieder losgehen, und in der Wohnung auf der anderen Seite des Hinterhofs wird ein anderes Paar grinsen und vielleicht auf Ideen kommen. Vielleicht aber auch nicht. Man sollte im Leben nicht Pflichten abhaken, sondern sein Leben ausleben, wie es kommt. Dann kommt es gut. 

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Text: Peter Praschl
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