Seit über 100 Jahren wird in verschiedensten Ländern der "internationale Frauentag“, gefeiert, an dem weltweit auf Gleichstellung, Diversität und Frauenrechte aufmerksam gemacht wird. Der Tag soll Errungenschaften feiern, Sichtbarkeit schaffen und vor allem soll er auf noch bestehende Probleme und Geschlechterungerechtigkeit aufmerksam machen. Und von denen gibt es 2023 noch mehr als genug.
Nicht nur Frauen sind von Sexismus betroffen. Auch trans* Personen und Menschen, die sich außerhalb von binären Geschlechterkategorien bewegen oder diese ganz ablehnen, können Opfer patriarchaler Strukturen sein. Darum wird der Weltfrauentag auch oft - weil inklusiver - "Feministischer Kampftag" genannt. Warum es nicht nur Frauen sind die von den Auswirkungen des Patriarchats betroffen sind, und wo es noch viel Systemarbeit braucht, findet ihr hier heraus.
Was ist das? Care-Arbeit oder auch "Sorgearbeit" umfasst Dinge des alltäglichen Lebens wie z. B. die Kinderbetreuung, die Altenpflege und Versorgungs- und Kümmerarbeit im Haushalt.
Historisch wurde und wird diese Arbeit vor allem von Frauen übernommen, was dazu geführt hat, dass sie lange als natürlicher Teil des Frauseins angesehen wurde. Alles Instandhalten, Kümmern und jede weitere stetig laufende Aufgabe, die unter den Schirm der Care-Arbeit fällt, ist aber in den allermeisten Fällen unbezahlt. Auch wenn sie etwas Gutes haben kann (schließlich fühlt es sich such schön an, sich um die, die uns wichtig sind zu kümmern), verbaut unbezahlte Carearbeit oft Karrierewege.
Denn: Die Zeit und Energie, die für Weiterbildungen aufgebracht werden könnte, wird in zwischenmenschliche oder organisatorische Tätigkeiten gesteckt. Das heißt in Zahlen: Die, die vor allem Care-Arbeit leisten (Frauen) arbeiten im weltweiten Durchschnitt 7:28 Stunden pro Tag und werden für ca. 41 % davon bezahlt, während Männer im weltweiten Durchschnitt 6:44 Stunden pro Tag arbeiten und für ca. 80 % davon bezahlt werden (2018). Unter anderem führt das auch dazu, dass Frauen im Schnitt weniger Rente bekommen und überdurchschnittlich von Altersarmut betroffen sind. Wie wichtig diese Form von Arbeit ist, fällt oft nur dann auf, wenn ein plötzliches Ausbleiben dieser Mehr-Arbeit für Unmut bei denen sorgt, die sich daran gewöhnt haben, von ihr zu profitieren. Als Lösungsansatz für dieses Problem sozialer und geschlechtlicher Ungerechtigkeit gibt es genüge (z. B. bezahlte Care-Arbeitskonzepte). Aber es scheitert politisch immer wieder an der Umsetzung.
Was ist das? Die Gender Pay Gap beschreibt den Unterschied im durchschnittlichen Bruttoeinkommen zwischen den Geschlechtern.
Laut Statistischem Bundesamt haben Frauen 2022 durchschnittlich etwa 18% weniger pro Stunde verdienen als Männer. Klingt viel? Ist es auch. Mit den 18% liegt Deutschland über dem EU-Durchschnitt (13%). Ursachen für die Gender Pay Gap sind - wer oben aufgepasst hat, ahnt es - eine ungleiche Verteilung der Sorgearbeit und die Tatsache, dass Berufe, die historisch eher von Frauen ausgeübt wurden (z. B. Pflegetätigkeiten) schlechter bezahlt werden als typische "Männerberufe". Außerdem gibt es noch mehr Frauen, die auch aufgrund verschiedener Care-Arbeitsansprüche in Teilzeit gehen und damit im Schnitt weniger verdienen. Gerade während der Coronapandemie und den vielen Lockdowns hat dieser Umstand bei vielen Frauen (besonders Müttern) für eine überdurchschnittliche Belastung gesorgt. Jede*r, die*der von Zuhause arbeitet und währenddessen noch auf ein (krankes) Kind aufpassen muss, kann verstehen, dass das auch Dauer kein aushaltbarer Zustand ist. Noch schlechtere Nachrichten: Die Gender Pay Gap wächst mit dem Alter. Während sie bei Personen zwischen 20 und 30 etwa 7% Prozent beträgt, steigt sie bis zum Alter von 40 Jahren bis zu 22% an. Dabei ist es kein Zufall, dass diese größer werdende Ungleichheit mit dem durchschnittlichen Alter von Frauen beim Start der Familienplanung zu steigen beginnt.
Was ist das? Reproduktive Gerechtigkeit als Konzept ist eine Zusammenführung von reproduktiven Rechten und sozialer Gerechtigkeit. Der Begriff wurde seit den 1990er-Jahren vor allem durch Loretta Ross und anderen Schwarze Feminist*innen und Menschenrechtler*innen geprägt.
Die Liste an Dingen, die in Sachen reproduktiver Gerechtigkeit noch gemacht werden müssen, ist unfassbar lang. Reproduktive Gerechtigkeit umfasst nicht nur Dinge wie Abtreibungen bzw. Schwangerschaftsabbrüche oder künstliche Befruchtung, sondern auch den Umgang mit Verhütung und Familien- bzw. Rollenbildern im Allgemeinen. Und hier gibt es auch in Deutschland noch sehr viele Baustellen.
Da wäre z. B. die Sache mit der Pille, die mindestens genauso bekannt ist wie ihr endlos langer Beipackzettel an Nebenwirkungen (Wassereinlagerungen, Haarausfall, Stimmungsschwankungen, erhöhtes Thromboserisiko und Depressionen. Hände hoch, wer es kennt). Die Kosten für die Pille müssen ab 22 in den meisten Fällen komplett selbst übernommen werden. Das macht die Pille zu einer Ware, die - ganz abgesehen von Nebenwirkungen - auch finanziell für Ungerechtigkeit sorgt, da sie von denen bezahlt werden muss, die ohne sie schwanger werden könnten (egal, wie diese finanziell gestellt sind). An der Entwicklung einer "Pille für Männer" wird zwar seit einigen Jahren gerabeitet, bis jetzt gibt es aber kein vergleichbares zuverlässiges Verhütungsmittel "für den Mann".
Auch beim Thema künstliche Befruchtung herrscht Ungerechtigkeit: Vereinfacht gesagt wird bei heterosexuellen Ehepaaren in der Regel 50% der Kosten von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet, solange die eigenen Geschlechtszellen genutzt werden. Sobald aber eine "fremde" Samenspende involviert ist, werden die Kosten (und die können mehrere 1000€ betragen) nicht mehr übernommen. Somit werden queere und lesbische Paare mit Kinderwunsch strukturell benachteiligt.
Letztes Jahr hat der §219a des Strafgesetzbuches (das war der Paragraph, der es gynäkologischen Praxen verboten hat, "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche zu machen) für viel Trubel gesorgt. Auch wenn dieser Paragraf mittlerweile (unschöne) Geschichte geworden ist, besteht ein weiterer Paragraf noch immer: Nämlich der §218, der den Schwangerschaftsabbruch als Straftat klassifiziert.
"Hä?", denken jetzt sicher viele "Aber Schwangerschaftsabbrüche werden doch in Deutschland durchgeführt!". Und das stimmt auch. Denn der §218 hat einen nachträglich eingeführten Zusatz, der besagt, dass Abbrüche (wenn sie unter bestimmten Bedingungen geschehen) straffrei bleiben. Nichtsdestotrotz ist der Abbruch laut diesem Paragrafen nach wie vor illegal. Das führt zu noch mehr Stigma und extrem viel Druck bei (ungewollt) schwangeren Personen, die sich für einen Abbruch entscheiden wollen. Auch die Kosten für einen Abbruch werden nur in bestimmten Fällen von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen (z. B. wenn eine Person "sozial bedürftig" ist oder der Abbruch aufgrund von medizinischer oder kriminologischer Sicht notwendig ist).
Was ist das? Allerspätestens seit 2020 und dem Mord an George Floyd sind "struktureller" oder "institutionalisierter Rassismus" Begriffe, die die meisten unter uns schon gehört haben. Institutioneller Rassismus bedeutet hier "Formen der Diskriminierung, Ausgrenzung oder Abwertung, die von den Institutionen einer Gesellschaft, wie zum Beispiel der Polizei, von Behörden oder Schulen ausgehen" (Definition der Antidiskriminierungsstelle des Bundes). Beim Strukturellen Rassismus geht es um historisch gewachsene Machtverhältnisse und Formen der Diskriminierung, die sich in den Strukturen niederschlagen.
Rassistische Strukturen finden sich in Deutschland z. B. an Schulen, wo nicht weißen Kindern oder Kindern, die in der Schule erst Deutsch lernen, weniger oft eine Gymnasialempfehlung gegeben wird. Vom Gesundheits- und Einwanderungssystem bis zur Polizei oder dem alltäglichen Umgang gibt es überall unterschiedlich stark ausgeprägt diskriminierende Strukturen. Rassismus ist auch ein Problem, das am Weltfrauentag besonders beachtet werden sollte, weil es vor allem Schwarze Frauen sind, die weltweit am stärksten diskriminiert werden. Diese "doppelte Form der Diskriminierung" aufgrund des Geschlechts UND der Hautfarbe oder der zugeschriebenen Zugehörigkeit ist in dem theoretischen Konzept der Intersektionalität zusammengefasst. Hier geht es um die Schnittmengen von Diskriminierungen gegenüber einer Gruppe von Menschen oder einer Person (die nicht zur Gruppe der finanziell gut situierten, gesunden, gebildeten, weißen, heterosexuellen cis Männer zählt). Ein Beispiel wäre hier eine trans* Frau im Rollstuhl, die aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Behinderung in Deutschland benachteiligt wird. Es ist wichtig, diese beiden Formen von Benachteiligung nicht einzeln zu betrachten, sondern sie als ineinander verwoben zu betrachten, um das gesamte Ausmaß und die persönliche Erfahrung von Ungleichheit und Unterdrückung sichtbar zu machen. Denn nur, wenn wir Ungleichheit erkennen, können wir auch etwas gegen sie tun.
Was ist das? "Queer ist ein Sammelbegriff, ein sogenannter "Umbrellaterm" für Personen, deren geschlechtliche Identität (wer sie in Bezug auf Geschlecht sind) und/oder sexuelle Orientierung (wen sie begehren oder wie sie lieben) nicht der zweigeschlechtlichen, cis-geschlechtlichen und/oder heterosexuellen Norm entspricht (Quelle)."Transfeindlichkeit" meint die Ablehnung von Menschen, die trans* sind und/oder deren Geschlechtsausdruck nicht den anerkannten Kategorien von männlich/weiblich entspricht (Quelle).
Laut einer Studie aus dem Jahr 2019 sind queere Menschen 3x häufiger von Depressionen betroffen als nicht queere Personen. Die Ursachen hierfür können vielerorts gesucht werden. Diskriminierung oder Belästigung, Ausgrenzung am Arbeitsplatz, Hass in den sozialen Medien und Gewalt erleben queere Personen statistisch gesehen häufiger als nicht queere Personen. Auch die Ergebnisse des zweiten großen LGBTI-Survey (eine Studie der EU-Grundrechteagentur), an der sich knapp 140.000 Menschen aus 30 Ländern beteiligt haben, zeigt, dass queere Menschen weltweit noch unter vielen Formen von Homo- und Transfeindlichkeit leiden müssen.
Immerhin 45% der befragten Lesben und 43% der befragten bisexuellen Frauen wurden aufgrund ihres Lesbisch- bzw. Bisexuell-Seins diskriminiert. Hier gaben 94% der Befragten an, den letzten Vorfall nicht gemeldet zu haben. 66% der trans* Befragten gaben an, in den letzten 12 Monaten aufgrund ihres Trans*-Seins diskriminiert worden zu sein (Quelle). Zum Thema Gewalt gaben 10% der trans* Befragten an, in den letzten 12 Monaten Belästigungen und Gewalt erfahren zu haben. Besonders schockierend: Die Mehrheit dieser Übergriffe fand nach Angaben der Befragten auf offener Straße statt. Die Folgen solcher Übergriffe sind anschließende psychische Probleme wie Depressionen und Angstzustände.
Auch trotz geplanten Gesetzesänderungen wie dem Selbstbestimmungsgesetz sehen sich queere Menschen in Deutschland also immer noch krassen Benachteiligungen und verschiedensten Formen von Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt.
Was ist das? In der Istanbul-Konvention (2011) wird Gewalt gegen Frauen als eine"Menschenrechtsverletzung und eine Form der Diskriminierung der Frau" definiert. Dazu zählen "alle Handlungen geschlechtsspezifischer Gewalt, die zu körperlichen, sexuellen, psychischen oder wirtschaftlichen Schäden oder Leiden bei Frauen führen oder führen können, einschließlich der Androhung solcher Handlungen, der Nötigung oder der willkürlichen Freiheitsentziehung, sei es im öffentlichen oder privaten Leben“.
Spätestens jetzt sollte klar geworden sein: Von Gleichberechtigung sind wir in Deutschland immer noch meilenweit entfernt. Denn auch nach neusten Zahlen wir jede dritte Frau in Deutschland in ihrem Leben einmal Opfer physischer oder sexualisierter Gewalt. Laut Statistischem Bundesamt wird fast täglich in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner ermordet. Während der Corona Pandemie ist die Zahl der partnerschaftlichen Gewaltdelikten (verglichen mit den Jahren vor Corona) zusätzlich angestiegen. Gewalt an Frauen ist übrigens auch kein Problem bestimmter Schichten: Studien zeigen, dass auch Frauen aus mittleren und höheren Bildungs- und Sozialschichten Opfer von Gewalt in der Partnerschaft werden.