Nachhaltige Ernährung

Von wegen junges Gemüse: Interview mit Marisa Becker

Nachhaltig  zu leben werde  einem schwergemacht, sagt  Marisa Becker –  und lässt sich  nicht davon  abhalten. | © Joanna Hörig
Nachhaltig zu leben werde einem schwergemacht, sagt Marisa Becker – und lässt sich nicht davon abhalten.
© Joanna Hörig

Pflanzliche Ernährung wird immer wichtiger. Hier gibt Greenfluencerin Marisa Becker einen Vorgeschmack auf die Zukunft.

Auf ihrem Instagram Kanal @mysustainableme lesen fast 35 000 Menschen Marisa Beckers Tipps und Tricks für ein gesundes und umweltbewusstes Leben. Ähnlich beliebt ist das von ihr gegründete Online-Magazin Ekologiska Mag (ekologiskamag.com) ,das Themen rund um Nachhaltigkeit aufgreift – für die 26-Jährige mehr als ein Trend: Dank ihres kräuterbegeisterten Vaters kam sie früh mit Unkraut, Salaten, pflanzlichen Hausmitteln und kulinarischen Experimenten in Kontakt. Nachdem Peter Becker bereits mehrere Bücher über das Potenzial von Pflanzen, Steinen und Insekten verfasst hat, haben sich Vater und Tochter zusammengetan für „111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss“ (Emons Verlag). Das Ziel: Biodiversität und fairen Handeln fördern, indem man Menschen Lust auf eine vielfältigere, gesunde Küche macht.

111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss
111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss
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111 ungenutzte Pflanzen, die man gegessen haben muss

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Brennnesseln, Löwenzahn und Hanfsamen gab es bei uns, lange bevor sie in jedem Biomarkt lagen. Mein Vater hat wirklich die ganze Wohnung mit seinen Kräutern und Pflanzen zugewuchert. Im Toilettenspülkasten lagerte er zum Beispiel immer Eicheln, um die Gerbsäure auszuspülen. Oder er rief aus der Küche: „Marisa, es gibt Tarantula-Suppe, magst du mal probieren?“

Tarantula-Suppe?

Eine Suppe aus Vogelspinnen. Wenn man ernsthaft erforscht, ob man sich von Insekten ernähren kann, muss man halt auch Spinnen und Skorpione probieren.

Und Ihre Reaktion?

Na ja, als Teenager findet man seine Eltern natürlich erst mal uncool. Später habe ich die Experimente meines Vaters zu schätzen gelernt. Vor allem als ich angefangen habe, mich selbst ernsthaft mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz auseinanderzusetzen.

Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist Ihr Buch, in dem Sie teils unbekannte essbare Pflanzen vorstellen. Die meisten Menschen kommen im Alltag auf 30 Sorten. 50 000 gäbe es insgesamt. Wonach haben Sie die 111 Pflanzen, die Sie vorstellen, ausgewählt?

Das war gar nicht so einfach. Mir war eine gute Mischung aus lokalen Wildkräutern und unbekannten Pflanzen wichtig, die man selbst anbauen oder im Wald und am Straßenrand sammeln kann. Andere Pflanzen im Buch sind in Hinblick auf den Klimawandel und einen faireren globalen Handel interessant.

Zum Beispiel?

Queller, auch als Meeresspargel bekannt, kommt mit einem hohen Salzbestand im Boden zurecht und hält deshalb Überschwemmungen gut aus. Wenn die Meeresspiegel eher steigen als sinken, ist das eine interessante Eigenschaft. Auch Rosenwurz ist ein Anpassungstalent, das für die Landwirtschaft spannend werden könnte. Queller und Rosenwurz klingen, nun ja, exotisch … Ein anderes Beispiel ist Hirse. Die ist sehr gesund und widerstandsfähig – selbst starken klimatischen Schwankungen hält sie stand. Bei uns in der Mainstream-Küche hat dieses Getreide kaum Platz. Auf dem afrikanischen Kontinent spielt Hirse bei der Ernährung dagegen eine große Rolle. In Mali gibt es Projekte von Frauen-Kooperativen, die aus Hirse Instant-Mehl zubereiten und damit ihre Selbstständigkeit und finanzielle Unabhängigkeit sichern. Wenn man so etwas größer skaliert, kann das zu einem faireren globalen Handel und zu einer Dekolonisierung der Wirtschaft beitragen.

Es geht also nicht nur um eine vielseitigere Ernährung, sondern um politische und wirtschaftliche Veränderungen?

Auf jeden Fall. Wir stehen weltweit vor Bedrohungen wie ausfallenden Ernten, einer sinkenden Artenvielfalt und einer Wirtschaft, die noch immer von kolonialen ungerechten Strukturen bestimmt ist. Das muss sich ändern.

Gleichzeitig erwähnen Sie im Buch einige Pflanzen, die bei uns gar nicht wachsen. Widerspricht das nicht der Idee von „think global, act local“?

Man sollte bevorzugt saisonal und lokal kaufen, davon bin ich überzeugt. Aber viele Produkte in unserem Alltag kommen nun einmal von weit her: Kaffee, Südfrüchte – von den seltenen Erden in unseren Handys und Laptops will ich gar nicht anfangen. Nicht anzuerkennen, dass wir in einer globalisierten Welt leben und davon profitieren, finde ich scheinheilig. Statt den globalen Handel pauschal zu verurteilen, sollten wir ihn fairer und nachhaltiger gestalten, das ist realistischer. Ein erster Schritt ist eben zu gucken, mit welchen Pflanzen und Produktnischen das gelingen könnte.

Welche Pflanzen gehören zu Ihrem eigenen Alltag?

Zum Beispiel der mit seiner rosa Farbe sehr hübsch anzusehende Klatschmohnessig, den mein Vater selbst herstellt. Oder der Japanische Knöterich, aus dem man Marmelade und Relish kochen kann. Wenn sich die Gelegenheit bietet, sammle ich außerdem alles, was man unkompliziert dünsten, in den Salat werfen oder als Tee zubereiten kann: Löwenzahn, Spitzwegerich, Gänseblümchen ,Brennnesseln. Auch die Pfeffersorten aus dem Buch habe ich immer da. Und ich versuche jetzt, mehr Hirse in meine Alltagsküche zu integrieren.

Gibt es Pflanzen, die seit der Arbeit am Buch ganz neu in Ihrer Küche sind?

Ja, aber vor allem habe ich gelernt, solche wieder mehr zu schätzen, die es früher schon bei uns zu Hause gab, zum Beispiel die Eiche. In Deutschland ist jeder zehnte Baum eine Eiche, aber Eicheln werden kaum genutzt. Als ich klein war, gab es bei uns immer Eichelplätzchen, denn man kann man aus den Baumfrüchten Mehl machen, oder man stellt daraus ein Granulat für Fleischersatz her. Auch die vielen Wegerich-Arten weiß ich für Salate zu schätzen. Besonders fasziniert hat mich aber die Geschichte des Maisbeulenbrands.

Was ist denn das?

Ein Maisschädling, der Landwirten bei uns als so was wie der absolute Supergau gilt. In anderen Ländern ist es genau andersherum: Wenn die Maisplantage vom Maisbeulenbrand befallen wird, kommt das für Bauern fast schon einem Hauptgewinn gleich. In Mexiko etwa verkauft man ihn als seltene und teure Delikatesse, die nach einer Mischung aus Champignon und Mais schmeckt. Die Ernte des Maisbeulenbrands bringt dort teils mehr Gewinn ein als der gesunde Mais. Manche vergleichen den Pilz deshalb sogar mit Trüffeln.

Auf deutschen Maisfeldern wächst eine Delikatesse in Form eines Schädlings?

(lacht) Nicht wirklich. Um ein Exemplar des Maisbeulenbrands für das Buch zu fotografieren, sind wir eine gefühlte Ewigkeit Maisfelder abgelaufen. Gefunden haben wir schließlich eine einzige Maispflanze, die von dem Pilz befallen war. Nun warte ich sehnsüchtig auf die neue Mais-Saison, um wieder welchen zu finden.

Ruhig mal probieren

Oft wachsen sie unbeachtet am Wegrand, dabei machen sich diese Pflanzen gut in der Küche:

Ackerschachtelhalm:

Für viele hartnäckiges Unkraut. Andere braten seine Kolben, machen Pesto aus den Laubtrieben und brühen aus Blättern und Knollen harntreibenden Tee.

Beinwell:

Beruhigt Schleimhäute und fördert die Wundheilung. Die Blätter enthalten Eiweiß und Vitamin B12 – am besten roh im Salat oder ausgebacken in Bierteig.

Breitwegerich:

Hilft bei Husten oder als Presssaft bei Mückenstichen und Wunden. Die jungen Blätter machen sich gut in Salaten, die ausgereiften Samen in Brotteig.

Gänseblümchen:

Viele Mineralien, Vitamin A und C. Die Blüten eignen sich für Pesto, die Blättchen ähneln Feldsalat. Sauer eingelegt ergeben die Knospen Kapernersatz.

Hagebutte:

Marmelade und Tee aus den Früchten, klar. Für Rohkost die jungen Triebe, Knospen, Blüten verwenden – Laub nur in Maßen, es enthält viele Gerbstoffe.

Hopfen:

Eher als Kulturpflanze bekannt (Bier!). Dabei sind die Triebspitzen von wildem Hopfen ein toller Wildspargelersatz. Die Samen lassen sich gut knabbern.

Nachtkerze:

Voller Stärke, Eiweiß und Mineralstoffe. Die Blätter, Triebe, Knospen und unreifen Früchte kann man roh im Salat essen, einlegen oder schmoren.

Interview: Mercedes Lauenstein

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