Patchwork-Familie

Die Kunst, eine gute Stiefmutter zu sein

Viele Kinder stehen an einem Waschbecken und putzen Zähne. | © Getty Images
Patchwork-Familie
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Märchen lehren uns, dass Stiefmütter böse sind. In Zeiten von Patchwork-Familien bemühen sich aber viele Frauen, gute Zweitmütter zu sein. Anerkennung bekommen sie dafür nicht. Über die Schwierigkeit, seine Rolle zu finden.

Seit ich zurückdenken kann, habe ich mir Kinder gewünscht, drei, vielleicht auch vier. Ich habe von einer klassischen Familie geträumt, bin aber selbst mit Halbgeschwistern und einem liebevollen Stiefvater aufgewachsen. Ich habe eine schöne Erinnerung an diese Zeit. Dennoch kam es mir nie in den Sinn, dass ich einmal einen Mann lieben könnte, der schon Kinder hat. Mark ist elf Jahre älter als ich.

Ich lernte ihn kennen, als ich 27 war und Projektmanagerin in einer Werbeagentur. Ich suchte einen neuen Job und wechselte in die Agentur für Unternehmenskommunikation, die Mark leitet. Zu der Zeit war seine Tochter Marie zwei, sein Sohn Jonas wenige Monate alt. Ich kannte seine Kinder und seine Frau, Mark kannte meinen Freund. Manchmal haben wir uns abends getroffen und über unsere Beziehungen geredet. Wir waren nicht glücklich. Wenn wir zusammensaßen schon.

Halbtags arbeiten wegen fremden Kindern?

Ich verließ meinen Freund und Mark seine Frau. Keine leichte Zeit. Er hatte ein schlechtes Gewissen und vermisste die Kinder, die er nur jedes zweite Wochenende sah. Nach neun Monaten zogen wir zusammen. Seine Ex-Frau war jetzt alleinerziehend. Sie war überfordert mit der Situation und fragte Mark, ob die Kinder bei uns leben könnten. Das bedeutete: bei mir. Die beiden sollten nicht bis 18 Uhr in der Kita bleiben, aber Mark konnte seine Arbeitszeit als Geschäftsführer nicht reduzieren. Ich hingegen schon. Zwei Wochen lang dachte ich nach, ob ich mich um zwei Kleinkinder kümmern kann und möchte.

Meine Freunde haben mir abgeraten. Alle. Nur noch halbtags arbeiten wegen fremder Kinder? Abhängig sein? Niemals. Aber für mich fühlte sich das richtig an. Ich wusste, Mark und ich würden zusammenbleiben, ich wusste, er wäre beruhigter, wenn seine Kinder bei uns wären. Und ich hatte einfach Lust, ein Familienleben zu gestalten und irgendwann eigene Kinder zu bekommen. Das alles habe ich Mark in einem Brief geschrieben: Deine Kinder sind willkommen. Sie kannten mich ja. Wir haben zusammen Kuchen gebacken, sind gemeinsam in den Zoo. Anfangs saß ich auf dem Spielplatz und fühlte mich wie in einer fremden Stadt. Ich kannte keine einzige Mutter. Meine Freundinnen arbeiteten bis abends, sie hatten selten Lust, mich nach dem Job zu besuchen. Über die Kita haben sich langsam neue Freundschaften entwickelt. Wenn sie herausfanden, dass das nicht meine eigenen Kinder sind, haben andere Mütter gestaunt; ich spürte ihren Respekt.

Tun, was Mütter tun – ohne Mutter zu sein

Manchmal bin ich nachmittags nach der Arbeit auf dem Sofa eingeschlafen, bevor ich die Kinder abgeholt habe. Weil ich morgens um sechs aufgestanden war. Oder nachts Milch warm gemacht hatte. Es gab Momente, da hätte ich am liebsten alles hingeschmissen. Außerdem hielt sich Marks Ex-Frau anfangs nicht an Absprachen, tauchte auf, wann es ihr passte. Ich fühlte mich wie ein Kindermädchen, das ihr den Rücken freihält. Inzwischen sind die Kinder jedes zweite Wochenende und an einem Tag unter der Woche bei ihrer Mutter. Wir haben einen Rhythmus gefunden.

Ich liebe meine Patchwork-Kinder, sie nennen mich Mama Sylke, aber ich bleibe ihre Stiefmutter. Mein Engagement wird ihnen nie so viel bedeuten wie die Zuwendung ihrer leiblichen Mutter. Und der besondere Stolz, mit dem man als Mutter sagt, schau, das hat das Kind von mir, der bleibt mir auf eine bestimmte Art verwehrt. Das hat mich manchmal frustriert, gerade in den ersten Jahren. Ich habe sie vom Schnuller entwöhnt, ihnen Schwimmen und Radfahren beigebracht, ich habe alles gemacht, was Mütter so machen – ohne Mutter zu sein. Schlimm war es, wenn Freundinnen mit Baby zu mir sagten, manches könnte ich erst verstehen, wenn ich selbst ein Kind geboren hätte. Nicht sehr tröstlich am Ende eines langen Tages.

Du bist nicht unsere richtige Mutter, haben die Kinder manchmal gesagt, wenn sie von ihrer Mutter kamen. Weiß ich, dachte ich, aber was bin ich dann? Bonusmutter? Ich bin ja für ihre Lebensbasis verantwortlich. Mir hat die Anerkennung gefehlt. Oft habe ich mir gewünscht, die leibliche Mutter würde sich bei mir bedanken. Einmal musste Jonas ins Krankenhaus und es kam heraus, dass er eine chronische Autoimmunkrankheit hat. Ich musste heulen, als die Ärzte mir das sagten. Und der Kleine saß neben mir und fragte: „Mama, was ist?“ Abends fragte seine Mutter: „Warum hast du mich nicht sofort angerufen? Du darfst doch nichts unterschreiben!“ Dabei wollte ich nur alles richtig machen, wollte ruhig bleiben.

Wir sind als Familie zusammengewachsen

Natürlich unterstützt mich mein Mann. Aber er beobachtet mich auch, Eltern können gar nicht anders. „Sei nicht so streng mit ihnen“, hat er mich manchmal gebeten, wenn sie aufgekratzt von ihrer Mutter zurückkehrten. Wenn wir streiten, dann oft über die unterschiedlichen Regeln und Werte in zwei Haushalten. Erst seit ich zwei eigene Söhne habe, sehe ich das gelassener. Oskar ist drei Jahre alt, Karl neun Monate. Die Eltern meines Mannes hatten Sorge, dass ich die Patchwork-Kinder vernachlässige, wenn ich eigene bekomme. Aber das Gegenteil ist der Fall, wir sind als Familie zusammengewachsen.

Nach der Geburt meines ersten Sohnes dachte ich, Mark würde bei mir im Krankenhaus übernachten, Oskar rumtragen. Aber er musste ja nach Hause zu den anderen beiden. Es war ja sein drittes Kind und ich habe verstanden, dass wir diese Premiere nicht so recht teilen können. In manchen Momenten habe ich das bedauert, aber wir waren schon Eltern vor dem ersten gemeinsamen Kind. Wie ich diesen Alltag seit sieben Jahren durchstehe? Die Antwort ist einfach: Ich liebe unsere vier Kinder und es macht mich glücklich, sie aufwachsen zu sehen. Ihr Stolz, wenn sie etwas geschafft haben, ist auch mein Stolz. In ihrer Mitte fühle ich mich aufgehoben. Und vieles fällt mir leichter als anderen Müttern, weil ich eine geübte Stiefmutter bin.

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Text: Lisa Frieda Cossham
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